14.03.2008

Die Art von Henning Köhler

„Ich bin ein Existentialist bis in meine Knochen“. Und: „Mein Thema ist die Freiheit“. Und: „Karma und Freiheit bedingen einander“. Und: „Man soll nichts aus Treue und Glauben annehmen“. Diese vier Sätze stammen von Henning Köhler. Er hat sie vor ein paar Wochen in Köln ausgesprochen. Der Titel des Seminars lautete: „Dem Karma auf der Spur“.

Ich war in den letzten Jahren öfters in der Gelegenheit Henning Köhler sprechen zu hören. Im Rahmen der integrativen Fortbildung, die er in Zusammenarbeit mit dem Seminar für Waldorfpädagogik in Köln anbietet, habe ich seine Ausführungen über ein breites Themenspektrum, wie ein Schwamm aufgenommen. Angst bei Kindern, die anthroposophische Sinneslehre, die so genannten ADS-Kinder, die Ethik des Beratungsgespräches, auffällige Verhaltensweisen und „ungewöhnliche Begabungsprofile“ bei Kindern, der Kindheitsgedanke... Und irgendwo und irgendwann habe ich Henning Köhler in einem Artikel „den warmen Philosophen der Kindheit“ genannt.

Was Henning Köhler denkt, kann man in seinen Büchern nachlesen. Mich interessiert heute eher die Frage: wie denkt und spricht er? Ich meine damit: wie verhält er sich zu den Gedanken, die er äußert? Wie „bewegt“ er sich in der Welt der Gedanken? Wie verwandelt er Gedanken in Sprache? Oder anders gesagt: wie wirkt seine „Gestalt“ als Philosoph? Und vor allem auch: wie spricht er seine Zuhörer an? Wie schafft er es, in einem Seminar seine Zuhörer zu einer Art philosophischen Spaziergang zu bewegen?

Also, nicht das Was, sondern das Wie steht heute in diesem Text an. Was immer auffällt, ist seine Ruhe. Henning Köhler steht da vorne am Rednerpult, hat ein paar Papiere und Bücher dabei, liest manchmal kurz, befreit sich dann selbstverständlich von den Unterlagen und bewegt sich im Raum. Er macht ein paar Schritte um das Pult herum, drei oder vier, nicht mehr, und spricht frei. Sein Blick schweift dabei nach vorne und um ihn herum, wobei er gleichzeitig zwei Sachen zu sehen scheint: die Gedanken, die er gerade in seinen Papieren gefunden hat, und seine Zuhörer.

Er scheint die Gedanken vor sich in einem Raum zu sehen, wie vertraute Objekte, die er mag (oder manchmal auch gerade nicht mag). Seine Gedanken & Begriffe wirken wie unsichtbare Gegenstände, die sich fast handfest & genau & differenziert in einer Landschaft befinden. Und was Henning Köhler macht, ist in einem gewissen Sinne nichts anders, als diese Landschaft zu öffnen & betretbar zu machen.

Wenn er meint, einen Teil der Landschaft hinreichend gestaltet zu haben, dreht er sich langsam und nachdenklich um, macht ein paar Schritte auf das Pult zu (so, als ob er kurz in eine Hütte geht), nimmt ein Blatt Papier in seine Hände, und liest. In dieser ruhigen hin-und-her-Bewegung, die sich ständig wiederholt, wirkt die Tatsache kräftig mit, dass sein Körper groß & tragend & rund ist. Irgendwie scheint er das Bild seines Körpers auf eine unsichtbare-aber-spürbare Ebene zu übertragen. Als Zuhörer fühlt man sich in dieser Körperlichkeit aufgehoben.

In seiner Sprache ist Henning Köhler erstaunlich genau & konsistent & liebevoll. Er liebt die Gedanken – mehr noch die Sprache. Seine Worte & Wortpaare & Sätze & Redewendungen erscheinen wie sorgfältig geschnittene Objekte, wie in einer Kirche aus dem Mittelalter. (Der Unterschied ist nur dieser: sein Geschnittenes befindet sich nicht in einer Kirche, sondern auf einem weiten Feld.) Und er lebt in der Sprache, wie sein Körper sich im Raum bewegt: sorgfältig & gehalten & irgendwie auch mächtig. Seine Stimme klingt sonor & eindringlich & warm.

Das Schönste ist, wenn er auf einmal etwas sagt, das nicht schon vorher gedacht war, sondern sich unerwartet neu aus dem schon Gesagtem ergibt. Es ist dann, als ob sich ein neuer Raum vor allen Zuhörern spürbar öffnet, erst anfänglich „leer“ im Raum schwebt, und dann mit Worten & Begriffen & Bildern, die von irgendwo tief unten hergeholt werden, gefüllt wird. Für solche Momente kenne ich nur ein Wort: Geburt.

Wie gesagt, Henning Köhler lebt in Gedanken & gestaltet Gedanken zu einer genauen und liebevollen Sprache. Durch & zwischen & mit den Gedanken fliesen aber immer tastende Gefühle, die sich zwischen Nähe und Distanz hin und her bewegen. Auf einmal aber können sich diese Gefühle in greifende & eingreifende & angreifende Emotionen verwandeln. Auf einmal ist dann Unruhe da. Ich meine beobachtet zu haben, dass diese Verwandlung immer dann stattfindet, wenn er irgendwie meint, dass der Freiheitsbegriff in Gefahr ist. Ein Zorn steigt auf, der zeigt, dass er nicht nur ein warmer Philosoph der Kindheit, sondern auch ein Kämpfer ist.

Mit Dank an Sophie Pannitschka

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

jo, köhler is n feiner mensch!hab viel von ihm und kühlewind gelernt. vermisse hier im norden diese begegnungen von denen ich hier zehre.denn der norden hat einen großen weiten himmel und die meisten regenbögen, aber keinen henning köhler. danke für die guten, schönen und wahren worte zu ihm. mukel in nds

Anonym hat gesagt…

Schaue ich bei mir auf die Momente wohliger Wärme in den letzten Jahren, so finde ich viele davon während der Vorträge von Henning. Ganz egal aus welcher Situation heraus ich zu Henning komme, sobald er zu reden beginnt, holt er mich ab und bettet mich in die Schönheit seiner sprachlich gestalteten Landschaften.
Ich möchte dies nicht mehr missen!
Ganz liebe Grüße!Drück Dich!
Linda