12.04.2008

Für das kleine Kind. Orte der Freiheit

Was ansteht, ist also die Frage: wie können kleine und sogar sehr kleine Kinder tagsüber außerhalb die Familie versorgt & begleitet werden? Wie könnte ein anthroposophischer Ansatz diesbezüglich aussehen?

Erster Gedanke. Die Mütter und Väter können nach wie vor die Verantwortung für die Gestaltung selbst in die Hand nehmen. In einem Stadtviertel von Hamburg oder Freiburg oder Siegen könnten sich Mütter & Väter & Großmütter & Großväter & Onkel & Tanten & Freunde dieser Aufgabe gemeinsam stellen. Im Grunde genommen wird dazu nichts anderes gebraucht als Räumlichkeiten & Zeitlichkeiten & Menschen. Ich würde die sozialen Knotenpunkte, die auf diese Art und Weise entstehen, als Bausteine einer Kultur des Herzens verstehen.

Solche freien Initiativen öffnen sich einerseits für alles Mögliche, grenzen sich aber gleichzeitig klar ab, vor allem vom Staat. Aus meiner Sicht hat der Staat ganz und gar nichts mit der Aufgabe zu tun, dem Eintritt des Kindes in das Leben und die Gesellschaft eine Form zu geben. Der Staat hat diesbezüglich die Aufgabe, die Liebe zur freien Tat zu schützen. Gerechtigkeit – was ja das Hauptanliegen des Staates sein müsste – heißt an dieser Stelle: die Gleichheit zur Freiheit zu gewährleisten.

Zweiter Gedanke. Freie Initiativen brauchen keine vorgefertigten Konzepte. Die immer wieder und überall auftauchende Vorstellung, dass es eine einheitliche Methode geben müsse, die beschreibt, wie Waldorfkindertagesstätten auszusehen haben, müsste demontiert und aufgeräumt werden. Ein anthroposophischer Ansatz liegt in dem Leitprinzip der Begegnung. Die Mütter & Väter & Großmütter & Großväter & Onkel & Tanten & Freunde können sich gemeinsam auf einen Weg begeben und erstens versuchen, die Ahnungen & Sehnsüchte in klare Begriffe zu fassen, und zweitens sich darum bemühen, auf Grund der gewonnenen Einsichten Vorsätze zu formulieren und Entscheidungen zu treffen.

Das „Konzept“ in Hamburg wird sich aus der Begegnung der Hamburger heraus kristallisieren und deswegen einen anderen Ton haben, als die Ansätze in Würzburg und Duisburg. Die lokalen Initiativen werden eigensinnig & stolz & strahlend auf eine eigene Art und Weise auf die zwei Pfeiler der anthroposophischen Pädagogik bauen: das Schicksal der Beteiligten und das anthroposophische Menschenbild. Das erhabene Spiel zwischen (meistens noch) verborgenen Willensrichtungen und geistigen Erkenntnissen wird das Herz der Sache ausmachen.

Dritter Gedanke. Aus dem Vorangehenden geht hervor, das die Initiativnehmer sich – wie leider in westlichen Ländern üblich – gerade nicht von Anfang an auf Satzungen & Gesetze & Rahmenbedingungen stürzen. Die Welt der Gesetze soll erst dann ins Auge gefasst werden, wenn eine anfängliche Klarheit in Bezug auf das eigene Wollen erlangt ist. Man könnte es auch so formulieren: erst wenn eine Schicksalsgemeinschaft sich auch wirklich als „Gemeinschaft“ erfährt (das heißt: sich über eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Zukunft definiert), kann die Begegnung mit der gewordenen Vergangenheitswelt-der-Gesetze angegangen werden.

Ein naiver Sprung in die Maschinerie der Gesetze zerfetzt Sehnsüchte & Ahnungen & Ideale. Die erste Arbeit liegt aus meiner Sicht eher auf einer „meditativen“ Ebene. Damit ist gemeint, dass die innere Aufmerksamkeit aktiviert und auf „inhaltliche“ Fragestellungen-des-alltäglichen
-und-allnächtlichen-Lebens gerichtet wird. Die Zusammenkünfte der Initiativnehmer sehen erst mal wie langsame & schnelle & stille & bewegte Diskurse aus – im Sinne von Emmanuel Lévinas: heilige Räume der Begegnung.

Diese erste Phase ist nicht als Vorbereitung gemeint. Die erste Phase ist die Sache selbst, so wie die Sache in der ersten Phase nun mal aussieht. In einer zweiten Phase wird ja die Sache wieder anders aussehen – es bleibt aber die gleiche Sache. Und die Sache ist: dem kleinen Kind einen herzlichen & würdigen Empfang zu bereiten.

Vierter Gedanke. Es geht um freie „Stiftungen“ im sozialen Leben. An diesen Stiftungen oder Knotenpunkten oder Orten-der-Freiheit sind Menschen & Menschen & Menschen beteiligt. Die Frage, ob diese Menschen & Menschen & Menschen sich Anthroposophen oder Kalvinisten oder Buddhisten oder „Bin-ja-gar-nichts“ nennen, ist nicht relevant. Entscheidend aber ist die Frage, ob zumindest Raum für die Vermutung gelassen wird, dass alle beteiligten Menschen, vor allem die Kinder, dazu berufen sind, im Leben eine eigene „geistige“ Mission zu finden und zu gestalten.

Fünfter Gedanke. Es scheint mir sinvoll, diesbezüglich so etwas wie eine "Stiftungsberatung" ins Leben zu rufen. So wie Virgil seinen Schützling Dante auf seiner Reise durch die Unterwelt bis in den Himmel begleitet, könnten erfahrene SupervisorInnen & Entdeckungsreisende & MeisterInnen die unerfahrenen Initiativnehmer auf ihren - zweifellos abenteuerlichen - Wegen begleiten. Der Gedanke, dass alles aus der Begegnung der Beteiligten entstehen muss, heißt ja nicht, dass man keine Hilfe akzeptieren darf. Vielleicht könnten im Rahmen der internationalen Kindergarten Vereinigung - die eigentlich heißen müsste: Vereinigung für Kindheit - Stiftungsberater geschult werden?

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

einfach gut! ich bin schon länger damit "schwanger" und auf der suche, dazu braucht es wirklich hilfe, aber woher?!
die vereinigung, na dann braucht es aber doch noch mehr als einen ruck. doch greift mir der staat mit allen vorschriften schon zu viel und zu lange ein und es ist an der zeit solche neuen möglichkeiten zu schaffen. ich denke dabei an viel mehr kunst in jeder richtung, ja laß uns endlich anfangen. fein das jelle van meulen sowas ausspricht, das macht mir mut und gibt das gefühl nicht mehr allein mit diesem gedanken zu sein. mukel in nds

Anonym hat gesagt…

also, ich wohne in aachen und möchte weben an einem solchen ort...

mir gefällt immer besser diese formulierung "aus dem nichts": entstehen, kommen lassen.

ich übe, die "schwelle" zu beachten dabei, nicht drüberzubrettern, weil unbedingt etwas draus werden muss. nein, muss es nicht.
ich übe aber auch, nicht alles in der schwebe zu halten, sondern mir zu erlauben, zu handeln.

z.B. indem ich hier schreibe. es ruhen lasse, wieder lese, verändere. der schritt JETZT ist, den vorschau-modus zu verlassen und in den veröffentlichen-modus zu wechseln. das bezieht sich auf diese website nur pars pro toto, das ist - für mich - etwas fundamentales. mir zuzugestehen, nicht nur etwas, sondern mich zu äußern.

wonach ich sehnsuche:
mit kindern (meinen und anderen?) leben, so, dass raum ist, sie wahrzunehmen - ohne selbst zu verschwinden.
aus dem nichts anfangen... das leere blatt papier...

Anonym hat gesagt…

"Stiftungsberatung"

So ne Art Ethikkommission?

Nää, dat brauchen wa nich.