31.10.2010

Das höhere Ich. Über die Hoheit des individuellen Menschen

Die jeweilige Hoheit eines Menschen verstehe ich als Bildhauer, der in der Gestaltung der Persönlichkeit ständig Entscheidungen trifft. Sie steht nicht nur für die positiven Ergebnisse ihrer Entscheidungen, sondern genauso für die negativen, was also bedeutet, dass sie die Urheberin der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten eines Menschen ist, und damit auch von den grundlegenden Spannungen, die sich in einer Persönlichkeit ausleben wollen.

Die Hoheit kreiert in jedem Lebensgang eine Art Knoten, man könnte auch sagen: eine Frage, die meistens nur unterschwellig wirkt, allerdings in allen Aspekten der Persönlichkeit und des Lebens präsent ist. Ihre Handschrift ist nicht zu übersehen, genauso, wie ein Bild von Pablo Picasso nicht mit einem von Marc Rothko zu verwechseln ist. Das Anliegen der Hoheit ist es NICHT nur eine Statue auf ein Podest zu heben, eine Persönlichkeit also, die mit lauter Fähigkeiten behaftet ist, sondern ihr Anliegen ist es, ein körperlich-seelisch-geistiges Gefüge in Raum und Zeit hervorzurufen, das sich auf die Welt, auf die anderen Menschen und auf sich selbst zubewegt.

Die Hoheit eines Menschen hat also ein Anliegen. Sie will etwas ganz Bestimmtes, und sie will es so, dass dasjenige, was wir unsere widersprüchliche Persönlichkeit nennen, die Gesamtheit von Statue und Brocken etwa, sich nicht als ein fertiges Ergebnis versteht, als ein mehr oder weniger gelungenes in die Welt „Geworfen-sein“ im Sinne von Martin Heidegger, sondern als ein bestimmter-unbestimmter Vorgang im Raum und in der Zeit, der gestern schon im Gange war, heute im Gange ist und morgen im Gange sein wird.

Sich unbefangen auf die Welt, andere Menschen und sich selbst zuzubewegen, bedeutet nichts anderes, als sich auf das Anliegen der eigenen Hoheit einzulassen. Der Akt der Bejahung vollzieht sich in der Persönlichkeit, die sich in der Bewusstseinsseele (Rudolf Steiner) von ihrer Hoheit emanzipiert hat. In der Bewusstseinsseele wird der Mensch ein „freier Bürger“ im Reich seiner eigenen Hoheit.

Die höhere Instanz, die wir das Selbst oder das höhere Ich nennen, braucht die freie Anerkennung von der Seite der Persönlichkeit, die durch sie hervorgerufen wurde. Wenn die Perspektive der Hoheit von der Persönlichkeit ausgeklammert wird, was leicht geschehen kann, bedeutet das unmittelbar, dass das Anliegen in dem Lebensgang nicht ergriffen wird.

Die Hoheit ist – und hier liegt ein Paradox – zwar souverän, jedoch abhängig von den Taten und Untaten der eigenen Persönlichkeit. Ein Widerspruch ist das allerdings nicht: Auch die Hoheit eines politischen Souveräns, beispielsweise eines Königs, ist an das Wollen seiner Untertanen gebunden. Kein König kann lange gegen sein Volk regieren. Und auch: ein König ohne Untertanen ist kein König, das heißt: kann nicht werden, was er ist.

17 Kommentare:

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

DIE MENSCHLICHE NATUR

Anders als
die Statue,
das Bildwerk
auf dem
Podest,
ist die
menschliche
Natur:
nicht
in einem Zuge
nicht
aus einem Guß.

Das Königtum
des Menschseins,
trohnend
auf ehernem
Leibwerk,
ist sein
heiliges ICH.

(Michael Heinen-Anders)

Anonym hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Anonym hat gesagt…

ha!
mitte oktober fand ich es haarsträubend, dass michael heinen-anders verlangt, dass gedichte rechtschreibkorrigiert werden und keine schönheitsfehler haben dürfen - und nun schreibt er "trohn", vergisst ein komma und schreibt personalpronomen GROSS...ich gehe mich kämmen...danke!

Anonym hat gesagt…

HALLOWEEN

Halloween.
Bleustöne aus dem Radio
und Herbsttöne aus der Natur
mischen sich wie taube Schmetterlinge.
Seelenverwandtschaft steht
kurz vor dem loslassen der Existenz,
wenn sie sich um Kerzenlicht kreisen,
in between
Dunkel und Dankbarkeit.
So soll es sein
wenn Rhythmus und Reim
in Blauseligkeit verträumen
und Bäume und Blätter
sich verzetteln
und verbrennen
in farbenfrohem Laubgesang.
Wenn Lebenszwang sich in Freude entladet
und die Freude sich im Regen badet
sind alle Dinge
wie aus ihrem Bahn gebannt,
bis zum nächsten Lenz
wo sie sich leise
like it has ever been
immer wieder neu die Welt verleihen.

31. Oktober 2010

Huub

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

Fehler passieren nun einmal besonders dann, insbesondere Flüchtigkeitsfehler, wenn ein Text gerade am Bildschirm neu erstellt wird.

Selbstverständlich muss es 'thronend' statt 'trohnend' heißen.
Das 'Menschsein' groß zu schreiben buche ich unter dichterische Freiheit, schließlich geht es hier um eine besondere Form des Seins.

Auch im nachfolgenden Gedicht von Huub fand ich gleich zu Anfang einen Flüchtigkeitsfehler 'Bleustöne' statt 'Bluestöne' - eben auch ein Flüchtigkeitsfehler,
so was kann und darf vorkommen.

Beste Grüße

Michael Heinen-Anders

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

EINIGE KURZE BEMERKUNGEN ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LYRIK

Ich zitiere ein Lyrikhandbuch:

"Durch den völligen Verzicht auf die Regeln der Metrik nähert sich der freie Vers der Prosa an."


Das ist ein Grundproblem aller modernen, zeitgenössischen Lyrik.
Durch weitgehenden Verzicht auf Reim und Metrik bleiben nur noch Metaphorik, Zeilensprung sowie "Sprachdichte" als wesentliche Stilmerkmale übrig.

Daher nähert sich die zeitgenössische Lyrik eigentlich immer mehr einer früheren Spezialform, nämlich dem Prosagedicht an, weshalb manche Lyriker zur deutlicheren Unterscheidung doch wieder auf Reim und Metrik als Mittel zurückgreifen. Diesen
Rückgriff auf Reim und Metrik halte ich allerdings für überholt, gerade auch weil die visuelle Poesie (z.B. in "Fisches Nachtgesang" und "Die Trichter" von Christian Morgenstern) diese als satirisches Mittel einsetzt, so dass ein steter Reim, häufig nur noch mit einer besonders humorigen Aussage assoziiert wird (z.B. bei dem "Volksdichter" Wilhelm Busch). Gewollte, also nicht gekonnte, Reime, geraten so schnell zu Formen des unfreiwilligen Humors.

Ganz besonders stark sieht man die durchaus zeitgenössische Tendenz zum Prosagedicht im Werk von Erich Fried, aber auch bei Hans-Magnus Enzensberger
sowie last but not least auch bei Günter Bruno Fuchs.

Auch ich selbst neige zum freien Vers, mithin also zum Prosagedicht.

Dennoch greife ich gelegentlich - wenn es inhaltlich passt - auch zu
versteckten - also indirekten - Reimformen und auch zu Verswiederholungen,
um das lyrisch ausgesagte besser zur Geltung zu bringen.

Dennoch teile ich insgesamt die Auffassung, dass sich in der Postmoderne (-> Bewusstseinsseele)
die Lyrik der Prosa teilweise annähern muss, um weiterhin ein adäquates - also verstandenes - Mittel des literarischen Ausdrucks, sein zu können.

Herzlich,

Michael Heinen-Anders

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

In der deutschen Sprache ist es übrigens einmalig so, dass die Selbstbezeichnung: ich, gleichlautend ist den Anfangsbuchstaben des Menschheitsrepräsentanten J-esus CH-ristus = JCH = ICH.

Herzlich,

Michael Heinen-Anders

Ernst hat gesagt…

Danke für die darstellenden Gedanken. Sie passen am Ende zu den Warnungen des Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Lammert in der Gegenwart. Mir ist, als habe er sich durch ein Schreiben anregen lassen. Erhielt ein angekündigtes Antwortschreiben von Prof. Dr. Lammert, in dem das Wort "Unrechtsstaat" aufgegriffen wurde. Das "Spiel" als ernste Angelegenheit zu erkennen, zu handeln, dem "Ich" im Bewußtsein zu vertrauen und wenn Niemand da wäre, der mit erkennt, ist die Kunst und ein Miterbe von Rudolf Steiner, sowie ein lebendiges Gedenken an Herrn Lievegoed aus dessen Buch ich einst gegenüber den Behörden zitierte und damals meine Verfolgung fortgesetzt wurde, die bis heute andauert... ..deswegen das Schreiben an Herrn Lammert. Fast will ich Bruder sagen, Bruder im Geiste, Danke für die >Kraft der Gedanken....

Anonym hat gesagt…

Bleustöne mag ich sehr, Bluestöne eher weniger. Und dann: was hat die theoretische Lektion über Lyrik eigentlich mit dem Thema "Die Hoheit des Menschen" zu tun? Darf ich mal etwas über meinen neuesten Staubsauger schreiben? Oder über meine Liebe für Sylvia? Oder über die Geschichte von Stuttgart? Lieber Michael Heinen-Anders, es soll hier doch Van der Meulens Weblog bleiben, oder? Andreas

Anonym hat gesagt…

Bleustöne mag ich sehr, Bluestöne eher weniger. Und dann: was hat die theoretische Lektion über Lyrik eigentlich mit dem Thema "Die Hoheit des Menschen" zu tun? Darf ich mal etwas über meinen neuesten Staubsauger schreiben? Oder über meine Liebe für Sylvia? Oder über die Geschichte von Stuttgart? Lieber Michael Heinen-Anders, es soll hier doch Van der Meulens Weblog bleiben, oder? Andreas

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

@Andreas

Die Verbindung meiner Gedanken zur Lyrik und Jelles Gedanken über die Hoheit des individuellen Menschen liegt in der gemeinsamen Verursachung durch die Bewusstseinsseele!

Herzlich,

Michael Heinen-Anders

PS: Ein Beitrag wird übrigens nicht dadurch besser oder wichtiger, dass er doppelt gepostet wird!

Anonym hat gesagt…

Harry Mulisch: Wer Meinungen hat, ist nicht so sehr einen Romanschreiber als wohl noch immer einen Romanfigur. Und Romanfiguren sind die schrecklichsten Schreiber der Welt.

Die letzten Jahren habe ich gelernt meinen Ich vom Thron zu hohlen, weil ich gemerckt habe, dass ich viel mehr ich bin in meine Fehler, als dass ich ich bin in das was ich schon kann oder denke zu können. Im Dunkel, in das was ich nicht von mir sehe, nicht von mir weiss, sagt mein ich oft mehr über mich als im hellsten Licht.
Bewustsein ist mehr als wissen. Wenn ich versuche das Leben zu erklären finde ich oft die schönsten Erklärungungen. Aber eine Erklärung vom Leben ist eine Erklärungung vom Leben, sie ist nicht das Leben selber. Wenn ich leben will sage ich ja zum Leben, sage ich ja zu mir und ja zu dir. Bewustsein befindet sich ja auch im Gefühl, es befindet sich auch in meine Glieder.
Wenn ich einen Beitrag liefere zu dem Weblog von Jelle frage ich mir oft ob meinen Beitrag etwas beiträgt zu das was er schreibt. Oft kann ich es nicht direkt intellektuell nachvolziehen. Aber wenn ich es mit einem poetischen Bewustsein nachspüre stimmt es für mich trotzdem.
Es gibt verschiedene Arten von Beiträge. Für mich wäre Verfremdung zum Beispiel auch einen Beitrag. Also gerne etwas über einen neuen Staubsauger.
Das Gedicht was ich schon als Beitrag an Jelles Weblog hinzugefügt habe, füge ich nochmals als Beitrag hinzu. Nur ein wenig geändert, damit es noch mehr dieses „stirb und werde“ des Ichs sehen lässt.
Herzlich
Huub

HALLOWEEN

Halloween.
Bluestöne aus dem Radio
und Herbsttöne aus der Natur
mischen sich wie taube Schmetterlinge.
Ihre Seelenverwandtschaft steht
kurz vor der Aufgabe der Existenz,
wenn sie sich um Kerzenlicht kreisen,
in between
Dunkel und Dankbarkeit.
So soll es sein
wenn Rhythmus und Reim
in Blauseligkeit verträumen
und Bäume und Blätter
sich verzetteln
und verbrennen
in farbenfrohem Laubgesang.
Wenn Lebenszwang sich in Freude entladet
und die Freude sich im Regen badet
sind alle Dinge
wie aus ihrem Bahn gebannt,
bis zum nächsten Lenz
wo sie sich leise
like it has ever been
immer wieder neu die Welt verleihen.

Ruthild hat gesagt…

Lieber Huub! Danke, wunderschön Ihr, Dein Gedicht! Herzliche Grüße
Ruthild

Ruthild hat gesagt…

Lieber Huub! Danke, wunderschön Ihr, Dein Gedicht! Herzliche Grüße
Ruthild

Sophie Pannitschka hat gesagt…

"Du bist durch keinerlei unüberwindliche Schranken gehemmt, sondern du sollst nach deinem eigenen freien Willen, in dessen Hand ich dein Geschick gelegt habe, sogar jene Natur dir selbst vorherbestimmen. Ich habe dich in die Mitte der Welt gesetzt, damit du von dort bequem um dich schaust, was es alles in dieser Welt gibt. Wir haben dich weder als einen Himmlischen noch als einen Irdischen, weder als einen Sterblichen noch als einen Unsterblichen geschaffen, damit du als dein eigener, vollkommen frei und ehrenhalber schaltender Bildhauer und Dichter dir selbst die Form bestimmst, in der du zu leben wünscht."

Läßt Pico della Mirandola in der Einleitung zu: "Über die Würde des Menschen" (1486) Gott über den Menschen sagen.

Herzlich!

Anonym hat gesagt…

Lieber Jelle,herzlichen Glückwunsch zu deinem 60. Geburtstag!Alles Gute und Liebe dir!

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

Lieber Jelle,

auch von mir: Alles Gute! Glück, Erfolg und Gesundheit anlässlich Deines Geburtstages, das wünsche ich Dir!

Herzliche Grüße

Michael Heinen-Anders