Kaufgeld ist langweilig, Schenkgeld ist recht brisant
Wie kommt man ins Kommen? Man öffnet und bewegt sich, lässt sich von Ideen begeistern, von Vorsätzen und Entscheidungen tragen, und vor allem von Begegnungen entzünden. Man kommt ins Kommen wenn man initiiert, stiftet, sich als Subjekt einer Initiation versteht. Ins Kommen kommen bedeutet: Initiation als Zivilisationsprinzip verstehen und handhaben.
Es gibt ein paar Bereiche im Leben, wo es manchen Menschen besonders schwer fällt, ins Kommen zu geraten. Sie denken, dass sie an diesen Stellen von Umständen umschlungen sind, verknotet und gefangen gehalten werden... Sie haben das Gefühl, wie ein Fisch an einem Haken zu hängen, merken allerdings nicht, dass der peinliche Stich ins Fleisch nicht eine äußerliche Gegebenheit, sondern reine Vorstellung ist.
Ein Bereich, in dem Menschen manchmal Schwierigkeiten haben, sich in ein Fließen zu begeben, betrifft das Geld. Gerade in Deutschland sparen die Menschen gerne. Vor ein paar Jahren noch wies der Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt darauf hin, dass alle große Aufgaben in Deutschland (zum Beispiel die Bildung betreffend) sofort zu erledigen wären, wenn die Bürger sich aufraffen würden, einen Teil ihrer Ersparnisse aktiv einzusetzen.
Aus Sicht der Zukunft sind Ersparnisse wie kleine oder große gefrorene Seen, die nicht zu bewegen sind. Egal wie fröhlich oder ernsthaft oder begeisternd oder wild der Wind der Zukunft auf uns zu kommt, die gefrorenen Wassermassen bleiben unberührt das, was sie sind: verhärtete und statische Potenzen. Gefrorenes Geld bewegt sich nicht.
Der Grund der Kälte liegt in einer Angst vor dem eigenen Schicksal. Ein guter Freund von mir, ein Steuerberater aus der fröhlichen Pfalz, sagte es einmal so: „Je stärker die Neigung, sein Vermögen fest zu halten, je größer die Angst vor dem Leben“. (Auf ganz Deutschland übertragen, stellt sich die Frage, wovor haben die Bürger eigentlich Angst?)
Und Bernard Lievegoed sagte einmal mit einem ironischen Unterton zu mir: „Wenn du arm bist, trotzdem aber etwas initiieren möchtest, solltest du damit anfangen, die Leute von ihren Ängsten und somit von ihrem Vermögen zu befreien. Ein doppelter Gewinn: die Leute werden frei und du hast das Geld, das du dringend brauchst!“ (Lievegoed war einer der tollsten realistischen Idealisten, denen ich in meinem Leben begegnet bin.)
Ein bisschen sparen ist natürlich immer okay. Und jeder darf selbstverständlich souverän für sich selber ausmachen, wie viel Geld er oder sie auf einem Sparkonto haben möchte. (Die Menschen, die nicht zum Sparen im Stande sind, einfach weil sie monatlich nichts übrig haben, sind die Glückspilze, die von dieser Frage befreit sind.) So bald aber das Sparen über konkrete Ziele hinaus geht und eine Gewohnheit oder eben eine Pflicht geworden ist, stimmt etwas nicht.
In einer Kultur des Herzens ist Geld eine warme Angelegenheit. Erstens gilt dort die Erkenntnis, dass es so etwas wie „mein Geld“ gar nicht gibt. Den hartnäckigen Gedanken, dass man Geld besitzen kann, tut richtig weh, wie der oben genannte Angelhaken. Die Lage ist eher so: für „mein“ Geld habe ich eine Verantwortung, der ich allerdings dadurch aus dem Wege gehe, indem ich sage: das Geld gehört mir, ich muss mich deswegen vor niemandem verantworten. So bald ich das Geld jedoch als ein soziales und darüber hinaus abenteuerliches (Abenteuer – Adventura – das was auf mich zukommt!) Phänomen verstehe, wird es warm.
Zweitens gilt die Tatsache, die Pietro Archiati so schön und einleuchtend in seinem Buch „Geld ist gut, vertrauen ist besser“ vermittelt, nämlich, dass Menschen und ihre Fähigkeiten mehr gelten als Geld. Ohne menschliche Fähigkeiten und Potenzen gibt es gar kein Geld. Angehäuftes Geld freizumachen bedeutet also: Fähigkeiten und Potenzen frei zu setzen. Und darin liegt gerade das Herz einer Kultur des Herzens: den Menschen in ihrer Biographie das Blühen zu ermöglichen.
In der berühmten Dreiheit von Kaufgeld, Leihgeld und Schenkgeld scheint das Schenkgeld eine Art softe Zugabe zu sein, eine schöne und „karitative“ Erscheinung, ein verletzbares und nicht ernst zu nehmendes Kind, das noch nicht auf eigenen Beinen stehen kann. Wenn das Schenken von Geld jedoch eine richtig persönliche Angelegenheit wird, die nicht auf Sicherheit, sondern auf ein konkret-gelebtes-Vertrauen-zwischen-uns setzt, wird es zu einer gestaltenden Macht in der Gesellschaft.
Kaufgeld ist eigentlich langweilig, Leihgeld schon ein bisschen abenteuerlicher, Schenkgeld von Person zu Person erst recht brisant. Es initiiert freie Beziehungen zwischen Menschen, die souverän tun, was sie wirklich wollen. Oder wie der Experte in herzlichen Angelegenheiten, Lothar Keye, es mir gelegentlich sagte: „Schenken und beschenkt werden bedeutet: unterwegs sein zu sich selbst und zu einer neuen Gesellschaft“. An dieser Stelle brauchen wir allerdings eine Art „Wissenschaft“, die als eine Initiationswissenschaft zu bezeichnen wäre.