27.03.2011

Kaufgeld ist langweilig, Schenkgeld ist recht brisant

Wie kommt man ins Kommen? Man öffnet und bewegt sich, lässt sich von Ideen begeistern, von Vorsätzen und Entscheidungen tragen, und vor allem von Begegnungen entzünden. Man kommt ins Kommen wenn man initiiert, stiftet, sich als Subjekt einer Initiation versteht. Ins Kommen kommen bedeutet: Initiation als Zivilisationsprinzip verstehen und handhaben.

Es gibt ein paar Bereiche im Leben, wo es manchen Menschen besonders schwer fällt, ins Kommen zu geraten. Sie denken, dass sie an diesen Stellen von Umständen umschlungen sind, verknotet und gefangen gehalten werden... Sie haben das Gefühl, wie ein Fisch an einem Haken zu hängen, merken allerdings nicht, dass der peinliche Stich ins Fleisch nicht eine äußerliche Gegebenheit, sondern reine Vorstellung ist.

Ein Bereich, in dem Menschen manchmal Schwierigkeiten haben, sich in ein Fließen zu begeben, betrifft das Geld. Gerade in Deutschland sparen die Menschen gerne. Vor ein paar Jahren noch wies der Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt darauf hin, dass alle große Aufgaben in Deutschland (zum Beispiel die Bildung betreffend) sofort zu erledigen wären, wenn die Bürger sich aufraffen würden, einen Teil ihrer Ersparnisse aktiv einzusetzen.

Aus Sicht der Zukunft sind Ersparnisse wie kleine oder große gefrorene Seen, die nicht zu bewegen sind. Egal wie fröhlich oder ernsthaft oder begeisternd oder wild der Wind der Zukunft auf uns zu kommt, die gefrorenen Wassermassen bleiben unberührt das, was sie sind: verhärtete und statische Potenzen. Gefrorenes Geld bewegt sich nicht.

Der Grund der Kälte liegt in einer Angst vor dem eigenen Schicksal. Ein guter Freund von mir, ein Steuerberater aus der fröhlichen Pfalz, sagte es einmal so: „Je stärker die Neigung, sein Vermögen fest zu halten, je größer die Angst vor dem Leben“. (Auf ganz Deutschland übertragen, stellt sich die Frage, wovor haben die Bürger eigentlich Angst?)

Und Bernard Lievegoed sagte einmal mit einem ironischen Unterton zu mir: „Wenn du arm bist, trotzdem aber etwas initiieren möchtest, solltest du damit anfangen, die Leute von ihren Ängsten und somit von ihrem Vermögen zu befreien. Ein doppelter Gewinn: die Leute werden frei und du hast das Geld, das du dringend brauchst!“ (Lievegoed war einer der tollsten realistischen Idealisten, denen ich in meinem Leben begegnet bin.)

Ein bisschen sparen ist natürlich immer okay. Und jeder darf selbstverständlich souverän für sich selber ausmachen, wie viel Geld er oder sie auf einem Sparkonto haben möchte. (Die Menschen, die nicht zum Sparen im Stande sind, einfach weil sie monatlich nichts übrig haben, sind die Glückspilze, die von dieser Frage befreit sind.) So bald aber das Sparen über konkrete Ziele hinaus geht und eine Gewohnheit oder eben eine Pflicht geworden ist, stimmt etwas nicht.

In einer Kultur des Herzens ist Geld eine warme Angelegenheit. Erstens gilt dort die Erkenntnis, dass es so etwas wie „mein Geld“ gar nicht gibt. Den hartnäckigen Gedanken, dass man Geld besitzen kann, tut richtig weh, wie der oben genannte Angelhaken. Die Lage ist eher so: für „mein“ Geld habe ich eine Verantwortung, der ich allerdings dadurch aus dem Wege gehe, indem ich sage: das Geld gehört mir, ich muss mich deswegen vor niemandem verantworten. So bald ich das Geld jedoch als ein soziales und darüber hinaus abenteuerliches (Abenteuer – Adventura – das was auf mich zukommt!) Phänomen verstehe, wird es warm.

Zweitens gilt die Tatsache, die Pietro Archiati so schön und einleuchtend in seinem Buch „Geld ist gut, vertrauen ist besser“ vermittelt, nämlich, dass Menschen und ihre Fähigkeiten mehr gelten als Geld. Ohne menschliche Fähigkeiten und Potenzen gibt es gar kein Geld. Angehäuftes Geld freizumachen bedeutet also: Fähigkeiten und Potenzen frei zu setzen. Und darin liegt gerade das Herz einer Kultur des Herzens: den Menschen in ihrer Biographie das Blühen zu ermöglichen.

In der berühmten Dreiheit von Kaufgeld, Leihgeld und Schenkgeld scheint das Schenkgeld eine Art softe Zugabe zu sein, eine schöne und „karitative“ Erscheinung, ein verletzbares und nicht ernst zu nehmendes Kind, das noch nicht auf eigenen Beinen stehen kann. Wenn das Schenken von Geld jedoch eine richtig persönliche Angelegenheit wird, die nicht auf Sicherheit, sondern auf ein konkret-gelebtes-Vertrauen-zwischen-uns setzt, wird es zu einer gestaltenden Macht in der Gesellschaft.

Kaufgeld ist eigentlich langweilig, Leihgeld schon ein bisschen abenteuerlicher, Schenkgeld von Person zu Person erst recht brisant. Es initiiert freie Beziehungen zwischen Menschen, die souverän tun, was sie wirklich wollen. Oder wie der Experte in herzlichen Angelegenheiten, Lothar Keye, es mir gelegentlich sagte: „Schenken und beschenkt werden bedeutet: unterwegs sein zu sich selbst und zu einer neuen Gesellschaft“. An dieser Stelle brauchen wir allerdings eine Art „Wissenschaft“, die als eine Initiationswissenschaft zu bezeichnen wäre.

5 Kommentare:

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

Als unpraktischer Idealist, der ich bin schenke ich gerne, solange ich es mir leisten und verantworten kann.
Geld-Geschenke werden allerdings oft recht mißtrauisch betrachtet ("Was will der jetzt von mir?"), obwohl auch ein Geldgeschenk nicht bedeuten muß, dass ich Dankbarkeit oder etwas anderes dafür erwarte. Am liebsten schenke ich aber Bücher. Diese öffnen die Innen- wie die Außenwelt und bringen so manchen Zeitgenossen ein Stückchen weiter auf der Strecke, die wir Lebensweg nennen. Bücher sprechen direkt mit unserem ICH und ein gutes Buch vermag so manches zu leisten - etwa ein Aha-Erlebnis - zu dem wir in unserer Lage und Befindlichkeit ohne diese Anregung nicht fähig gewesen wären. Allerdings zeigt gerade auch die Buchkultur bereits gewisse Niedergangserscheinungen, wie etwa
die Bestseller "Feuchtgebiete" (Charlotte Roche) und "Axolotl Roadkill" (Helene Hegemann) sie prägnant repräsentieren. Daher gebe ich acht auf das "gute Buch", mag dies nun Lyrik oder Prosa oder etwa Lebensweisheit und Erkenntnishilfe sein. Ein gutes Buch ist sein Geld immer wert - gerade auch als ein nettes, weil willkommenes Geschenk!

Herzlich,

Michael Heinen-Anders

Anonym hat gesagt…

Lieber Jelle,

von Herzen Dank für diesen Deinen Text!
Als ich las, was Du schreibst von den gefrorenen Seen, ja, da tauchte er
auf in mir, der Bodensee, mein Erleben mit ihm: ein großes Herz, immer in Seele wärmender Bewegung. Und wenn ich eintauche in ihn dieses kaum sagbare Erleben: aufgenommen zu werden in diese liebevolle Bewegung, mich selbst bewegend getragen zu sein, ohne dass nach mir gegriffen wird. Und alles fällt von mir ab, was ich nicht bin, und wie neu gehe ich wieder an Land.
Und als ich mich eben entschied, dies als Kommentar zu schreiben, tauchte auf die Erinnerung daran, was Friedrich Rittelmeyer über seine erste Begegnung mit Rudolf Steiner schrieb: "Es war , als ob er - ganz selbstlos hingegeben - den anderen sich selbst gleichsam noch einmal erschaffen ließe, in einem feinen Element der eigenen Seele, das er ihm zu diesem Zweck darbot." Ja, das Gold dem Strömen wiedergeben. Schenkgeld kann uns ermutigend in
diese befreiende Bewegung bringen.
Und da taucht Sven in mir auf, Sven aus Scharnhorst. Zivildienst hatte er gemacht in einem Kindergarten und war gefragt worden, ob er nicht eine Erzieherausbildung machen wolle, er sei so begabt. Er entschied sich dagegen und begründete mir das später: sein Herzblut würde er nicht verkaufen. Und seinen Idealismus auch nicht.
Orte schaffen mit der Kraft des strömenden Herzblutes, an denen Herzblut
sich verschenken kann - und dafür wird Geld geschenkt--------dahin uns
vom Wind aus der Zukunft führen lassen.

Herzliche Grüße
Johanna Giovannini
28.3.2011

Jelle van der Meulen hat gesagt…

Liebe Johanna, als wir letzer Woche zur Dritt zusammen waren, du, Lothar Keye und ich, hast von der Bodensee erzählt. Wegen deiner Erzählung ist dann bei mir das Gegenbild entstanden: die gefrorene See der Ersparnisse... Danke für die "Geschichte" von Sven. Und dann: wir werden das Thema Schenkgeld gemeinsam weiter erörtern! Herzlich, Jelle

Ruthild Soltau hat gesagt…

Unsere Familie und das Kinderhaus Kahlgrachtmühle haben immer wieder von ganz verschiedenen Seiten Geld geschenkt bekommen. Es waren Geschenke, die von Herzen kamen und ich habe immer empfunden, dass auf diesen Geschenken ein besonderer Segen ruhte. Jedesmal, wenn ich selbst Geld verschenke, merke ich, dass etwas ausstrahlt. Geldschenken hat etwas Befreiendes, etwas Festes beginnt zu fließen. Ja, Geldschenken bewirkt eine positive Strahlung, die man zwar nicht sieht, aber deutlich spüren kann.
Herzliche Grüße

Ruthild

Florian Lück hat gesagt…

Neulich in einem Gespräch mit Nils, einem jungen Mann der beherzt und konsequent versucht, sich treu zu bleiben, redeten wir über Geld und insbesondere über nicht vorhandenes Geld. Wir verdeutlichten uns, dass das Geld für den eigenen Bedarf das eine und Geld zum investieren oder eben auch verschenken das andere ist. Und dann wurde deutlich, dass es eigentlich viel mehr schmerzt, kein Geld zu haben, um damit etwas zu bewegen oder für andere zu machen als wenn man kein Geld zum Essen hat. Das Geld für den Eigenbedarf ist banal – das Geld, mit dem ich antwortend in die Welt wirksam werden kann ist etwas Großartiges. Nils, der selbst fast kein Geld hat, unterstützt mich jeden Monat mit 10 Euro – unter anderem aus diesem Grund wie ich glaube: weil für ihn das Schenken eine Großartigkeit hat, die das eigene Brötchengeld erstmal nicht hat. Und vielleicht könnte man sogar sagen, es ist ein Genuss, zu schenken. Und eine zukünftige Kultur des Schenkens rückt näher, wenn immer mehr Menschen diese Gourmet-Geld-Qualität zu genießen entdecken. Dann kann sich auch die Haltung derjenigen die z.B. ein Einkommen für „ihr Ding“ benötigen verändern. Sie spielen nicht den bedürftigen, hilflosen Bettler – sondern eröffnen und laden ein zu den höchst lustvollen Gesellschafts