Nochmals Station 4. Über Stimmen in einer finsteren Nacht
Station 4 neigt sich der Nacht entgegen. Auf den Fluren wird alles langsamer. Die Schritte der Krankenschwestern werden träger, die Stimmen gedämpfter, das Klingeln der Patienten seltener. Der lautlose Übergang ins Dunkle & Unbestimmte & Unbewusste erfüllt mich mit dem Verlangen, mich von meinen Gedanken zu befreien & mich der unsichtbaren Hand Gottes anheimzugeben.
Heute gibt es Gott aber nicht. Gott ist weit weg. Und dadurch, dass er mich entschieden alleine lässt, erscheint mein Leben zerstückelt. Ich sehe nur noch Brocken & Fetzen & Splitter. Und ich verstehe: für die Tätigkeit, aus meinem Leben eine Einheit zu gestalten, bin ich auf mich selbst angewiesen. Ich werde heute Nacht nicht einschlafen & morgen nicht wieder neu aufstehen. Und vor allem: ich werde nicht begeistert sein.
Gedanken brauche ich mir in dieser Nacht nicht zu machen – sie kommen von alleine, wie hungrige Wölfe. Sie stürzen sich auf mich, zerfetzen mich. Ich kann sie nicht leugnen, nicht elegant aus ihrer Bahn werfen, nicht ausblenden, nicht mit Argumenten ablenken oder gar stoppen. Sie hören nicht auf mich.
Kurz erscheint vor meinem geistigen Auge mein Freund Jan Frans, der vor mehr als zwanzig Jahren starb – er war gerade fünfunddreißig geworden – weil seine Aorta platzte. Einfach so. Eines Tages hatte er mir gesagt: „Wenn die Nacht kommt, sollst du besser schlafen gehen, sonst kommen die Dämonen.“ In Sachen Dämonen wusste mein Freund Bescheid. „Unkontrollierbare Gedanken,“ so meinte er, „ferngesteuerte. Sie werden zu dir geschickt, um Ängste zu erwecken. Und weißt du warum? Weil deine Angst für die Dämonen Nahrung ist.“
Die Gedanken, die auf mich zukommen, sagen mir, dass das Leben eigentlich ganz einfach ist. Ich müsste einfach nur verstehen, dass es verantwortungslos ist zu rauchen, zu trinken, mich nicht sportlich zu bewegen, mich nicht auf die Rhythmen von Tag & Nacht zu orientieren, Briefe & Emails nicht zu beantworten, wichtige Post vom Finanzamt nicht zu öffnen, die Pflanzen in meiner Wohnung nicht zu wässern & den Kühlschrank nicht zu reinigen.
8 Kommentare:
Lieber Jelle,
Ich könnte auch so etwas erzählen. Fast jede Nacht wache ich rundum vier Uhr auf, das ist schon mein ganzes Leben der Fall. Ich habe auch kein Problem damit. Aber ich weiss dann schon im Voraus: jetzt wird es wieder losgehen. Alles was ich tagsüber falsch gemacht und vor allem: vergessen (ich könnte besser sagen: unterlassen) habe, dass wird mich jetzt beunruhigen. Nein, nicht beunruhigen, sondern gerade plagen und quälen. Das müssen die Unterlassungssünde sein, den man am Ende seinen Lebens vorgeführt bekommt, so wie das erzählt wird. Ausweichen ist nicht möglich, man kann nur aufstehen und etwas anders tun gehen und nach einiger Zeit wiederum zu schlafen versuchen. Meistens gelingt das auch. Es muss doch etwas von einer Art Doppelgänger-Begegnung sein. Das Auffallende ist aber, dass es (noch) wenig hilft um die Sachen tagsüber anders und besser zu machen... man verfällt immer in dieselbe Fehler. Es hat auch etwas an sich, um jeden Nacht Zeit und Gelegenheit zu bekommen, um mehr und intensiver über seinem Leben und Begegnungen und so weiter nachzudenken, als es gewöhnlich tagsüber möglich ist. Ich möchte es eigentlich nicht anders haben.
DIE ANGST
Die Angst kriecht
wie eine Ratte
an mir hoch,
die ich nicht
abschütteln kann,
gelähmt, wie ich bin.
Schlangennattern
umzüngeln meine
Gedankenwege,
warten nur darauf,
mir im dösigen Schlaf
als Dämon
zu erscheinen,
der mich nicht
loslässt,
so wie ich den Tag
nicht loslassen kann,
in der Nacht.
(Michael Heinen-Anders)
Einen Versuch ist es doch wert:
Die TagesRückschau
weiter
üben.
Ein sehr altes Gedicht von 1985:
Die Nacht fließt hin
mit meinem Sein.
So schau ich stumm
den leeren Kelch.
Ein Augenblick fällt leis
hinein
Lautlos, still und schweigend.
So strömt es lang an meinem Wesen.
ergeben sich
der Erde neigend.
Maria
Lieber Jelle,
vielleicht ist es gut, Dinge zu akzpetieren, die wir machen obwohl sie uns gegenüber verantwortungslos zu sein scheinen, bevor der "innere" Dämon uns sagt dass wir verantwortungslos sind.Leicht gesagt. Aber:müssen wir immer "stark" sein?? Viele Menschen glauben, dass wenn wir über unser "verantwortungsloses" Verhalten aufgeklärt sind müssten wir sofort daran arbeiten dieses abzulegen. Darüber kann man dann ein wunderbar schlechtes Gewissen bekommen wenn man das nicht befolgt, denn die Logik hinter den Worten heisst: machst du das nicht bist du ein schwacher Mensch. Und wer möchte schon schwach sein. Und das fatale daran ist: sollte einmal der Zeitpunkt gekommen sein, eine dieser Schwächen abzulegen verpasst man ihn, weil man so mit der eigenen schlechten Gewissensbildung und diesem Druck beschäftigt ist dass man für freie Gedanken diesbezüglich belegt und blockiert ist.
Liebe Grüsse
Ralf G.
Wenn man als Autor die Ich-Perspektive für seine Figur wählt, geschehen zwei Dinge.
Zum einen identifiziert sich ein Leser leichter und schneller mit der Figur, als wenn in einer anderen Perspektive von ihm und nicht durch ihn etwas erzählt wird. Wenn das aber für den Leser nicht so angenehm ist, dann geschieht es zum anderen, dass der Ich-Erzähler mit dem Autor identifiziert wird (wie in den Kommentaren durch gute Ratschläge sichtbar geworden).
Ich-Erzählungen laden zu einem Ping-Pong-Spiel zwischen Leser und Autor ein.
Hat aber die Figur an sich, haben ihre Nöte dazwischen auch noch einen Platz?
Was erzählt uns die Figur? Braucht sie wirklich Ratschläge?
Ich glaube nicht...
Liebe(r) Anonym, danke für deine hilfreiche Worte. Mein Anliegen ist schlicht und einfach von Erfahrungen zu berichten, zu ERZÄHLEN... Und ich freue mich darüber, wenn anderen etwas dazu erzählen. Es stimmt allerdings, dass die Ich-Perspektive manchmal riskant ist. Herzlich!
Gehören die Ratschläge nicht auch zu der "Erzählung"? Nitta, aus Berlin
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