Sammy und Samuel heute. „Erzähl mir mal eine Geschichte!“
Sammy: „Lieber Samuel, wenn ich auf dich schaue, habe ich das Gefühl, dass du Geschichten erzählen möchtest – aber dennoch schweigst. Was hält dich davon ab, dich in die Sprache hinein zu bewegen? Warum kommst du nicht vom Fleck? Hast du nicht einmal gesagt, dass du dein Leben den ungeschriebenen Gedichten widmen willst?“
Samuel: „Du hast Recht; in mir gibt es tausend Geschichten. Oder müsste ich sagen, dass die Geschichten mich wie Vögel umgeben? Manche dieser Geschichten stehen still auf einem Bein im Wasser & warten, andere taumeln kreischend im Wind, noch andere hüpfen hübsch von Ast zu Ast, wieder andere kreisen hoch oben in der blauen Ferne. Du weißt doch, Sammy, wie es mit den Vögeln ist: sie sind schwer zu ergreifen.“
Sammy: „Geschichten erzählen, heißt also Geschichten ergreifen?“
Samuel: „Nein, wenn ich behaupte, dass Geschichten ungreifbar sind, stimmt das schon – dennoch mache ich es mir damit leicht. Geschichten soll man nicht ergreifen wollen, weil sie in unseren Händen sterben. Sich auf eine Geschichte einzulassen, heißt gerade das Umgekehrte: man lässt sich selber los & man fliegt mit & man taumelt & schwankt & stürzt & lässt sich letzten Endes vielleicht wie ein landender Schwan auf dem Wasser ausgleiten.“
Sammy: „Und damit tust du dich schwer?“
Samuel: „Ja. Ich sitze manchmal in mir & bei mir & eben neben mir & sehne mich nach Luftbewegungen, nach kreisen & umkreisen (Rilke: Bin ich ein Falke?) & stelle fest, dass ich unbeweglich wie ein Turm in der Landschaft stehe. Du hast es schön gesagt: Ich komme nicht vom Fleck. Dieses in mir & bei mir & eben neben mir Sitzen ist eine tödliche Fixierung. Es führt dazu, dass ich selber nicht einmal zu einer Geschichte werden kann.“
Sammy: (...)
Samuel: „So ist es! Es gibt Schweigen & Schweigen. Das erste Schweigen ist wie eine Verankerung in deinem Leib & in deinen Erinnerungen & in deinen Hoffnungen & in deinen alten Selbstentwürfen... So ist es mit Türmen: sie sind gebaut worden, um uns zu schützen. Wenn ich in meinem Turm sitze & schweige, weil ich Angst habe, schweige ich mich in das Salz hinein. Der große Dichter aus Chile, Pablo Neruda, nannte das: die begrabene Geometrie, die Schule des Salzes. Dieses Schweigen bedeutet bewahren.“
Sammy: (...)
Samuel: „Das zweite Schweigen bedeutet Wink & neuen Anfang. In diesem Schweigen machen sich die Geschichten vom Gewordenen los & heben sich aus den Angeln der Quadratur & stülpen sich um & lassen sich durch die Archive der Zukunft anziehen. In dieser Schule der warmen südlichen Luft werden sie neu geboren. Sammy, wenn ein Mensch zu einer fliegenden Geschichte wird, heißt das, dass er Flügel bekommt.“
Sammy: „Erzähl mir mal eine Geschichte!“
Samuel: „Heute morgen saß ich bei mir & in mir & neben mir. Um mich herum gab es die stillen Geräusche der Stadt: die Autos & die Züge & die Bauarbeiten & die Stimmen der Nachbarn... Und ich hatte das Gefühl, dass keines dieser Geräusche eine Botschaft für mich enthielt. Die Welt war stumm & von mir abgekoppelt. Als dann ein Handy klingelte, merkte ich nicht einmal, dass es mein Gerät war.“
„Das Handy machte einen zweiten Versuch & ich stellte fest: jemand versucht mich zu erreichen! Ich ging an den Apparat, sagte: mit Samuel Coster & hörte zu. Was ich aber hörte, war ein merkwürdiges Geräusch, ein Klick-klack-klick-klack, fast so, als ob jemand irgendetwas Holzartiges hinter sich her eine Treppe hoch schleppt. Auf mein Hallo-Hallo-Hallo folgte keine Reaktion. Ich wartete & wartete & hörte das Klicken & Klacken & dazu noch Geräusche, die ich gar nicht einordnen konnte.“
„Dann gab es auf einmal eine metallene Stimme, die deutlich hörbar sagte: ‚Der Zug nach Basel hat zwanzig Minuten Verspätung’. Das Klicken & Klacken hörte sofort auf & eine mir unbekannte Stimme sagte: ‚Scheiße!’ Dann fing das Klicken & Klacken wieder an & kurz darauf riß die Verbindung ab.“
Sammy: „Ist das eine Geschichte?“
Samuel: „Nein, eigentlich nicht. Es ist ein Erlebnis. Es kann aber eine Geschichte werden, wenn ich es will.“
11 Kommentare:
....Es kann eine Geschichte werden, wenn ich es will...
Wird es eine Geschichte oder gar ein Roman oder vielleicht ein Krimi? Es kann alles werden, oder?
Lieber Jelle, ich wünsche Samuel, dass er dort wo er jetzt ist – im Schweigen – sich vorbereiten kann auf seine schönen bunten und auch großen Flügel, um weiiiiit und hoooooch fliegen zu können.
Herzliche Grüße
Katharina
......meine guten Wünsche schliesse ich an......es ginge doch auch so schreib ruhig drauflos ohne zu wissen wo es enden wird.
ich dachte immer du hast schon begonnen und die blog-seite ist so ne Art "Kostprobe" so ne Art Ausschnitt davon. Ich stecke da wohl in Illusionen drin. Herzliche Grüsse Andrea
„…Sammy: „Ist das eine Geschichte?“
Samuel: „Nein, eigentlich nicht. Es ist ein Erlebnis. Es kann aber eine Geschichte werden, wenn ich es will.“…“
…es ist ein Er-lebnis. Etwas, was Samuel er-lebt hat. Ich glaube, dass es zu einer Geschichte werden kann, wenn sich das Ereignis daran zeigt, dass, was Samuel an diesem Erlebnis zu Eigen geworden ist, dass, was daran sein eigenes ist – wenn das Erlebnis zum Ereignis wird…
Und auf diese mögliche Geschichte bin ich dann sehr gespannt. Denn auch sie kann sich auf mehreren Ebenen präsentieren:
Möglich ist es, dass sie sich im Gewand der Vergangenheit, als historisches Ereignis zeigt – als etwas, was Samuel mitgemacht hat.
Oder die Geschichte zeigt sich als Erzählung, als Story – oder gar als Legende. Als etwas, was im Möglichkeitsbereich literarischer Darstellung liegt.
Auch möglich ist es, dass sich die Geschichte als Vorfall, Angelegenheit, Begebenheit, Geschehnis, Fall, Sache, Sachverhalt, Vorgang, Vorkommnis; oder Geschehen präsentiert….
Ich freue mich auf die Geschichte, die geschrieben werden kann – wenn es sie denn gibt.
Herzlich, Sophie
Was, wenn das hier ein Forum ist, in dem wir einander Geschichten erzählen, und in dem die Kunst des Geschichten Erzählens dadurch erneuert wird, dass wir einander - Geschichten erzählen?
Es könnte auch so gehen: jemand stellt ein Erlebnis in den Raum, und ein anderer erzählt eine Geschichte da heraus. Keine darüber und keine andere, die dazu passt, die einen Ratschlag oder eine Assoziation enthält oder eine Kritik oder ein Lob.
Ich spüre, dass dieser Beitrag selbst nicht frei ist von einer Art von Kritik, und eigentlich sollte ich ihn so lange für mich behalten, bis dieser Anteil herausgebrannt ist.
Aber ich habe dazu jetzt nicht die Geduld, und will das Herausbrennen der kritischen Anteile Euch überlassen.
Jetzt noch einmal neu:
was mir vorschwebt, ist etwas, wo der Bezugspunkt weniger "Jelle" ist als das Ding, zu dem Jelle sich durch seinen Text verhalten hat.
So erlebte ich das gestern.
viele Grüsse an alle,
Nicole
Danke Nicole. Deine Idee oder Empfindung finde ich gut. Auch ich habe beim Lesen des Erlebnisses, das Jelle beschreibt, sofort gedacht, es könnte sich entwickeln oder entpuppen oder entfalten zu einer richtig spannenden Geschichte. Der Gedanke, dass der Leser (oder mehrere?) diese Geschichte schreibt, ist ebenso spannend. Aber: Jelle, ist es das, was Du auf Deinem Blog als Kommentar zu Deinem Erlebnis gerne lesen würdest?
Katharina
// ... dass du Geschichten erzählen möchtest – aber dennoch schweigst. Was hält dich davon ab, dich in die Sprache hinein zu bewegen? ... //
// ... Aber: Jelle, ist es das, was Du auf Deinem Blog als Kommentar zu Deinem Erlebnis gerne lesen würdest? //
Liebe Katharina, ich finde, es geht nicht darum, was Jelle gerne lesen würde, sondern was Du gerne entwickeln (entpuppen, entfalten) würdest. Also, ich lese das lieber, wenn nicht so rücksichtsvoll geschrieben wird im Sinne einer Anpassung an das, was hier anscheinend hergehört oder nicht.
// ... ich dachte immer du hast schon begonnen und die blog-seite ist so ne Art ... //
Liebe Andrea, das ist doch interessant, dass dieses, was Du immer dachtest, einen Einfluß hatte auf ...? Was dachte jedes andere Ich denn immer, was diese blog-seite ist? ...
Stellt Euch nur mal vor, wir würden (jeder Einzelne, der das will im Sinne von: „Es kann eine Geschichte werden, wenn...“) tatsächlich genau das schreiben, was in uns ist: meine These ist: dann wäre jeder von uns alleine im Dialog mit der Sprache..
Ich werde hier die nächsten drei Tage nicht dabeisein, Grüsse aus Aachen!
Liebe Katharina & Andrea & Sophie & Nicole, ich würde richtig froh sein, wenn Geschichten erzählt werden. Das muss übrigens nicht nur in den Kommentare geschehen - ich kann den Texten natürlich auch auf die erste Seite posten. Sie müssen mir dann per Email geschickt werden. Mal schauen was kommt & was geht. Von mir aus noch gesagt: ich kann mir alle mögliche Kommentare & Beiträge vorstellen. Sei herzlich gegrüsst, Jelle van der Meulen
Lieber Jelle, danke für die Einladung zum Geschichten schreiben.
Bis Mitte nächster Woche bin ich unterwegs und habe leider keine Gelegenheit dazu. Mal gucken, ob ich danach kreativ sein kann.?
Herzliche Grüße, Katharina
Lieber Jelle, am spannensten finde ich die Sache mit dem Salz. Ja, ich finde auch, dass Schweigen kostbar sein kann wie Salz. Es weckt Bilder an Märchen, an Taufen...
Herzliche Grüße
Ruthild
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