12.02.2011

Praktiken einer Kultur des Herzens (3). Florian Lück erzählt

Florian Lück beantwortet gerne meine Fragen, die ich allerdings in diesem Text weglasse. Der Leser braucht meine Fragen nicht, um zu verstehen, was Florian zu sagen hat. Also spricht Florian, ohne eine Einmischung meinerseits:

„Ganz offensichtlich wohne ich in einem alten Gutshaus, das zu einem großen Teil immer noch eine Baustelle ist. Mit mir wohnen noch zehn andere Menschen mehr oder weniger fest hier und dazu kommen immer wieder Gäste, die kürzer oder länger bleiben. Der Grund für das, was hier passiert, ist die Idee einiger Menschen, einen sozialen Freiraum zu schaffen. Es geht um den Versuch, ein Milieu zu kultivieren, das dem einzelnen Menschen gewidmet ist. ´Schone fremde Freiheit – und zeige deine eigene!` ein Zitat Schillers, das im Weiteren beides als unendlich schwierig beurteilt.“

„Dieses innere Geschehen spielt sich äußerlich auf einem, sich im Wiederaufbau befindlichen historischen Gut ab, in einem kleinen Dorf in Nordvorpommern. Ich selbst befinde mich hier als Hausmeister, Gärtner, Handwerker, als Verwalter, Feuerwehrmann und Gemeindevertreter, als Nachbar und Dorfbewohner, aber auch als Gesprächspartner, als Gegenüber, als Wahrnehmender und Spiegelnder, als Freund oder Gefährte, bald als Vater, aber vor allem als Mensch, als ich selbst. Der eigentliche Bau, die unsichtbare Architektur des Freiraums, setzt voraus, dass ich bei mir bin, dass ich, so gut ich kann, so authentisch und wahrhaftig wie möglich, mich selbst lebe – für andere.“

„So geht es hier zuerst vielmehr darum, sich in Frieden zu lassen, zu üben, sich gegenseitig frei zu lassen; und auf der anderen Seite darum, das eigene Freiheitswesen, den eigenen Impuls zu finden und ihm Ausdruck zu verleihen. Mit dem Freiraum eröffnet sich ein offenes Feld das freilässt, was geschehen soll, was zu geschehen hat, was anstrebenswert wäre. Es geht einerseits um eine Balance zwischen dem Gefühl, ein absolut sinnloses Projekt zu machen, und andererseits der Ahnung, dass heute nichts wichtiger, notwendiger, fruchtbarer, ja schöner für eine zukünftige Gesellschaft ist, als diese Kultursubstanz.“

„Ich stehe meistens so um acht Uhr auf – öfters auch früher, manchmal auch später. So gut wie immer ziehe ich meine Baustellenklamotten an, packe Laptop und Handy, gehe kurz ins Badezimmer und dann in die Küche. Ich mache mir einen Kaffee und gehe auf die Veranda, schaue in den verwilderten Gutspark direkt gegenüber, lasse das Wetter und die ganze Atmosphäre auf mich wirken und horche, was bei mir so los ist – was aus der Nacht oder dem gestrigen Tag noch nachklingt oder was vielleicht vor mir liegt.“

„Ich will, dass das Haus bewohnbarer wird, mehr Gästezimmer entstehen, dass Park und Garten wieder glänzen. An einem normalen Tag – hm, normale Tage gibt es nicht! – findet man mich in entsprechenden Tätigkeiten. Aber genauso arbeite ich, wenn ich zwei Stunden in ein Gespräch vertieft einem anderen Menschen begegne; oder wenn mir eine neue Facette des Freiraums bewusst wird. Eigentlich wache ich gerade erst an meinem Arbeitsplatz auf, an dieser unsichtbaren Baustelle einer menschlichen Gesellschaft.“

„Unser Versuch, einen Freiraum zu kultivieren, erforderte unserer Ansicht nach auch einen freien Arbeitszusammenschluss, und eben keine gemeinsame existentielle Bindung an eine Rechtsform die ein Einkommen verteilt. Die Entscheidung zur Zusammenarbeit sollte nicht aus der Not geboren werden, ein Einkommen zu bekommen. Darüber hinaus begeistert mich die Idee der Trennung von Arbeit und Einkommen im Hinblick auf eine Gesellschaft, in der ich gerne leben würde. In einer solchen richten die Menschen ihre Biografie mehr und mehr danach aus, was sie ihrem eigenen Impuls nach tun wollen und nicht, und nicht danach, wo es Geld zu verdienen gibt.“

„Mir scheint es, dass die in unserer Arbeitswelt durchaus vorhandene Brüderlichkeit im Wirtschaften nicht zum Bewusstsein und zum Erleben kommt, weil das egoistische Motiv Geld-für-sich-selber-verdienen viel zu stark ist. Wie soll ich eine Arbeit lieben, zu der mich die Notwendigkeit eines Einkommens zwingt? Was mich nicht frei lässt, kann ich nicht lieben. Die Arbeit von diesem Bleischleier irgendwie zu erleichtern, scheint mir angemessen, sowohl für den Einzelnen als auch für die Arbeit selbst.“

„Mein Einkommen kommt dadurch zustande, dass verschiedene Menschen mir im Monat einen größeren oder kleineren Betrag auf mein Konto überweisen, so dass ich zurzeit gute 500 Euro habe, mit denen ich einigermaßen auskomme. Unser Freiraum, der sich dazu noch bis heute dagegen wehrt, sich von einer juristischen Person fassen zu lassen, entzieht sich auch einer ´Verkaufbarkeit von Ergebnissen`, zum Beispiel Stiftungen gegenüber, die auch noch das Problem haben, nicht Menschen, sondern gemeinnützige juristische Personen mit Geld fördern zu dürfen oder im höchsten Fall Menschen für bestimmte Ergebnisse honorieren dürfen. Aber wirklich schenken, frei, bedingungslos, mit vollem Risiko, ergebnissoffen? Was soll daran steuerrechtlich gemeinnützig sein?“

7 Kommentare:

Raphael Ohlms hat gesagt…

Guten Morgen, aus der Nähe Hannover´s. Danke für den Neuen Artikel! Ich habe Florian Lück einmal kurz im Gespräch mit Walter Siegfried Hahn + Frau in einer Runde in Witten Annen erlebt.
Bin selber mit Siedlungs-Arbeitsprojekten befasst, z.Zt. Raum Kassel Kommune Niederkaufungen + www.losgehts.eu Treffen politischer/linker Kommunen und Gemeinschaftssuchender. Grüße nach Köln und Hugoldsdorf!
Raphael Ohlms

Ruthild Soltau hat gesagt…

Lieber Florian Lück!
Ich freue mich sehr darüber, dass Sie Ihrer inneren Stimme folgen und für sich und andere Menschen einen Freiraum für eine Arbeit aus Liebe schaffen. Ich hoffe sehr, dass sich viele junge Menschen durch Ihre Initiative ermutigt fühlen, auch auf eine eigene Weise nicht für Geld, sondern frei zu arbeiten.
Herzliche Grüße
Ruthild Soltau

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

Ein Problem ist gewiss, dass Florian Lück's Mitarbeiter ihr Einkommen bereits mitbringen müssen, also sich bereits in einer gewissermassen privilegierten Situation befinden müssen und tatsächlich auch nur für die Dauer dieser Privilegierung mitarbeiten können, denn ein Hartz IV-Bezug erlaubt eine solche Eigeninitiatve normalerweise nicht.

Herzlich,

Michael Heinen-Anders

Jelle van der Meulen hat gesagt…

Lieber Michael, ich verstehe nicht, was du meinst. Was ist mit "Privilegierung" gemeint? Und dann: vielleicht verstehe ich dich nicht richtig, aber: Hartz IV bedeutet doch nicht, dass man nichts tut? Nichts kann an dieser Stelle als Entschuldigung gelten, auch Hartz IV nicht. Klar, Hartz IV ist sehr ungerecht, man braucht sich allerdings nicht zum Opfer machen zu lassen. Herzlich, Jelle

Caroly hat gesagt…

Wann ich Florians Text las, war ich gleich begeistert, bevor ich mich realisierte dass es das dritte Teil uber Praktiken einer Kultur des Herzens war, auch etwas warauf ich gespannt wartete. Leider hatte ich diese Woche wenig Zeit fur eine grundliche Reaktion, aber ich mochte benachdrucken es sehr wichtig zu finden was in Hugoldsdorf passiert! Ich hoffe nachste Woche etwas mehr zu schreiben uber meine Gedanken und dieses Projekt. Entschuldigung fur das schlimme Deutsch. Bin Hollandisch, und ubersetzung ist immer etwas was viel Zeit braucht. Bitte Jelle, ich mochte sehr gerne etwas beitragen, auch finanziell.

Anonym hat gesagt…

Lieber Jelle,
Danke für Deinen Webblog-Text vom 12.2.! Florian Lück erzählt. Mehr hatte ich noch gar nicht gelesen am vorletzten Samstag, als blitzhaft sich das Bild vergegenwärtigte: August 2008 in Bochum in der Christstrasse. Sitzung der Zukunftsstiftung Soziales Leben. Du warst angekündigt als Geförderter. Du würdest die Einstimmung machen. Gelesen hatte ich schon oft von Dir,
persönlich begegnet waren wir uns nie. Ich war in aufmerksamer Erwartungs-Stimmung.
Und Du begannst zu sprechen. Eigentlich, sagtest Du, habest Du etwas ganz anderes vorgehabt zu sagen. Doch indem Du in den Raum getreten seist, in dem wir uns versammelten, sahst Du das Namens-Schild: Hannah Ahrendt. Wahrscheinlich oder vielleicht hatte zuvor niemand den Raum je
betreten mit dieser Aufmerksamkeit für den Namen des Raumes.Und Du begannst zu sprechen über Hannah Ahrendt und ihren Begriff der Nativität; Du sprachst von der Aufmerksamkeit für das, was
im Kommen ist.
Dann sprachen die drei Gekommenen aus Hugolstadt, Friedel, Maria und Florian. Auch Florian war noch Geförderter, und erstmals waren sie auch dabei, Maria und Friedel. Und sie erzählten. Wie jetzt in Eurem Gespräch Florian erzählt.
Unter den Anwesenden war als Gast auch eine Frau, die beruflich mit dem Bankwesen zu tun hatte. Näheres habe ich vergessen. Als jetzt Florians Erzählung die damalige Situation in mir wieder wach rief, da war auch sie wieder da, diese Frau. Wieder sah ich ihr Gesicht, als sie sagte: so könne
man doch nicht leben, mit so wenig Geld, ohne jede Absicherung. Es war nicht Entsetzen, es war nicht Ungläubigkeit, es war nicht Staunen. Was stand in ihrem Gesicht geschrieben? Diese Frage begleitete mich jetzt seit Tagen...

Anonym hat gesagt…

... Und plötzlich klangen Friedels Worte von damals auf: Schrei der Notwendigkeit. Friedel hatte beschrieben damals im August 2008, wie sie morgens aufsteht, ohne dazu aufgefordert zu sein. Keine äußere und keine innere Pflicht treibt sie. Und doch steht sie auf. Dann irgendwann geht sie hinaus und sieht das verwahrloste Gelände. Und irgendwann weiß sie: das Gelände braucht Blumen. Und sie pflanzt Blumen. Als Schrei der Notwendigkeit hatte sie dies wahrgenommen, so ihre Worte.
Und nun, zweiundhalb Jahre später, verband sich plötzlich dieser Begriff mit dem Gesichtsausdruck der damals anwesenden Bank-Frau. Ich staunte und fühlte: Ja, das ist passend. Und daraus entwickelte sich die Frage in mir: welche Not-Wendigkeit schrie aus dem Gesicht der Frau?
Und indem ich mich dieser Frage weiter hingab, war es, als klinge der Ruf auf: hol mich hier raus!
Ich horchte auf: wer wollte wo herausgeholt werden? Der werdende Mensch - so klang es weiter auf. Klar, das ist passend. Ort des Geschehens im August 2008, das war die Zukunftsstiftung Soziales Leben. Und in deren Satzung heißt es: den werdenden Menschen fördern. Den werdenden Menschen aus dem gewordenen herausholen. Zur Welt befördern, was im Kommen ist.
Hatte das Kind in jener Frau Nahrung bekommen, Mut? Hatte es sich bemerkbar gemacht, wollte es sich aufrichten? Und hat sich der Schrecken der Frau, gut eingerichtet in der gewordenen Welt, eigentlich an diesen ihr innewohnenden Zukunftsmenschen gerichtet, der berührt worden war, der sich bewegte und damit Angst und Schrecken auslöste: nein, das ist nicht möglich, sei still, bleib,
wo du bist, du kannst nicht heraus! War versteckt in diesem Schreckens-Gesicht der Frau die Zukunft, die rege geworden war? Die Sehnsucht, auch die Kraft zu haben, sich aufzurichten in die Zukunft, ohne jede Absicherung, sich dem Leben anvertrauend, allen Vorsichtsmaßnahmen aus der Vergangenheit zum Trotz?

Herzliche Grüße
Johanna
25. Februar 2011