07.02.2010

Die Leber der Dichter. Über Bundesländer, Pillen und Sumerer

August 2006, in einem Krankenhaus in Köln. Neben mir steht eine Krankenschwester, die sich als Monika vorstellt. Sie ist groß & schlank, ragt hoch über mich hinaus & lacht. Ihre blonden Haare sind kurz geschnitten, ihre Lippen dünn & ihre Augen grün. Wenn sie spricht, flattern ihre Wörter wie Kolibris um meine Ohren herum.

„Hopla“, sagt sie, „Sie sind Herr Moilen! Toll! Ich mag die Leute aus Holland. Weil sie locker sind. Ich fahre immer gerne nach Zeeland. Dort haben wir Freunde. Nein, keine Holländer. Deutsche! Ich meine: richtige Deutsche! Aus Stuttgart. Haben ein Haus bei Middelburg gekauft. Ich bin aber hier im Rheinland aufgewachsen. Sind die Rheinländer nicht ein bisschen wie die Holländer?“

Während sie meinen Blutdruck misst, verkündigt sie: „Holland müsste ein Bundesland von Deutschland werden. Wäre Klasse! Pfff, stellen Sie sich das mal vor! Holland wäre das stärkste Bundesland. Mächtiger als NRW oder Bayern. Dann hätten wir in Deutschland auch noch eine Monarchie zu allem dazu! Hätten wir alles! Stadtstaaten, Freistaaten, Saarland, Flächenländer... Von mir aus könnte Beatrix Königin der Republik werden! Das wäre ja was!“

Und als sie mir die Tabletten überreicht: „Die Kardiologen haben Ihnen eine ganze Batterie von Medikamenten verschrieben. Ist aber immer so bei Herzinfarkten. Mal gucken. Natürlich ein Beta-Blocker. Was sonst? Und ein Blutverdünner. Ist ja auch richtig, das Blut soll flüssig bleiben. Und was ist das? Ach ja, für den Blutdruck. Der muss ja niedrig gehalten werden, sonst platzen die Venen. Und das hier soll die Leber entmutigen, Cholesterin zu produzieren. Das kriegen Sie aber erst heute Abend. Die Leber arbeitet ja in der Nachtschicht...“ Und sie wirbelt weg.

Ihre Worte bleiben aber im Raum. Die Leber arbeitet also in der Nacht... Ich denke: Von meinem Herz weiß ich nur wenig, von der Leber fast nichts. Ich wüsste nicht einmal, wo sie sich genau in meinem Körper befindet – irgendwo rechts unten? Dass sie aber nachts arbeitet, so etwa drei Uhr, das hatte ich schon mal gehört. Und auch meine ich mich zu erinnern, dass sie vor allem damit beschäftigt ist, die Gifte aus dem Blut herauszufiltern.

Dass sie Cholesterin produziert, wusste ich nicht. Ich hätte eher gemeint, dass Cholesterin durch Fleisch & Eier, was wir alles so essen, in unseren Körper gerät. Meine weiteren Erkenntnisse besagen, dass Cholesterin aus irgendeinem Grund eine Bedrohung für das Herz ist: zu viel Cholesterin führt zu Herzinfarkten & deswegen sollte man wenig Fleisch essen. Was aber Cholesterin genau ist - ich habe keine Ahnung.

Dann fallen mir auf einmal kuriose Informationen ein, die offenbar irgendwo in mir gespeichert waren & sich jetzt zu Wort melden. Für die alten Sumerer, das Volk von Gilgamesch & Enkidu & Inanna, war die Leber das wichtigste Organ & nicht das Herz, wie das von der ägyptischen Zeit an bis tief in die europäische Kultur der Fall war. Die Sumerer sahen die Leber als Sitz der Seele an, als Heimat der starken Gefühle, wie Wollust, Neid & Zorn.

Ich wusste schon, dass es zwei Herzen gibt: das Herz der Ärzte & das Herz der Dichter. Und öfters habe ich mich gefragt: Wie hängen die beiden miteinander zusammen? Was hat das Herz von Goethe & Shelley & Rilke mit dem Herz als menschliches Organ zu tun?

Es gibt aber offenbar auch eine Leber der Dichter. Und ich denke: Irgendwann in der Neuzeit hat das Gehirn die Führung übernommen. Die historische Reihenfolge ist schon interessant: Erst die Leber, dann das Herz, jetzt das Gehirn...

Mit Dank an Sophie Pannitschka

17 Kommentare:

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

Die Dichtkunst ist schon ein spezielles Feld, aber was mich angeht, so ist das weitaus meiste meiner Lyrik wohl aus einem tätigwerden des Herzens entstanden:

DAS ANMUTIGE IM ANTLITZ DES LÖWEN

Die brüllende Mähne verbirgt
zahlreiche kleine Lachfältchen.

Schweißperlen tropfen glitzernd von
seinen staubbeladenen Nüstern.

Seine Pfoten spielen, fliegenjagend,
mit dem Wind.

Bald Tanzbär,
manchmal Luftikusse.

Zum Gähnen reißt er das Maul auf,
als wollte er die Sterne verschlingen.

Sattschwelgend überlässt er seine Beute,den Honigkuchenmond, liebend gerne den Schakalen.

(Michael Heinen-Anders)

http://www.books.google.de/books?isbn=3839137535

Anonym hat gesagt…

Die Holländer sind doch Kaufmänner? Oder? Nitta

Anonym hat gesagt…

Hallo Nitta,

Du meinst die Holländer sollten Deutschland kaufen?
Ich bin zwar Holländer, aber leider
kein Kaufmann. Nur einer diesen armen Künstler, die es schon genug gibt.
Herzlich
Huub

Maria Becker hat gesagt…

Nix is fix
Künstler gibt es nie genug!
Und hier auch noch eine Künstlerin!
Leider keine holländische, dafür dann diesmal eine deutsche.
Danke für all Eure Zeilen, die ich einfach so lesen kann.Maria

Anonym hat gesagt…

Wieviel müsste Deutschland kosten?
S.Zl

Jelle van der Meulen hat gesagt…

Huub, warum so melancholisch? Vielleicht sollst du dich verkaufen lassen? Hartelijk, Jelle

Anonym hat gesagt…

Oh, da muss ich mich als Deutsche ja mal melden - was machen wir dann hier mit all den lockeren Holländern?

Und was machen die Holländer dann mit ihrem vielen Geld in Deutschland?

Interessante vorstellung!
Herzlich, Sophie

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

Mal was anderes. Heute ab 11:11 Uhr ist in Köln Straßenkarneval.

Das Absurde an Karneval (Carne Val) ist eigentlich, dass viele raschen Sex, manche raschen Suff suchen, aber jegliche Nachhaltigkeit (z.B. Liebe, Glück) dabei ausgeschlossen ist.

http://www.books.google.de/books?isbn=3839137535

Anonym hat gesagt…

Jelle, eine gute idee.
Ich denke dabei mehr an time-sharing oder lease-kontrakte. Was würdest du sagen, dass ich wert bin?
Und wenn ich mich dann verkauft habe, kaufe ich von dem Geld ein Stückchen Deutschland.
Herzlich
Huub

Anonym hat gesagt…

Lieber Jelle,

vielen Dank für den erfrischenden Text, wie ist das jetzt: sollen erst die Leber und dann das Herz in den Kopf steigen, um unser Denken zukunftsträchtig zu machen?
herzlich Katharina

Maria Becker hat gesagt…

Ach Du liebe Leber!
Europäsche Lebern im kalten Winter in Köln im Karneval und sie warten alle gleichberechtigt auf die Nacht, da sind doch unsere Lebern alle gleich getaktet. (oder wie ist das?)
Ein Pfund Leber kostet ?
Seis drum.
Es wird Fastnacht und an Aschermittoch weint unser liebes Leberchen- vielleicht und freut sich auf die Fastenzeit.
Alles Asche. Liebe Grüße noch einmal von Maria

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

Meine Leber ist noch recht trocken. Das Herz schlägt im Takt und das Gehirn arbeitet planmäßig.

Und das mitten im Kölschen Karneval.

http://www.books.google.de/books?isbn=3839137535

Maria Becker hat gesagt…

Hallo Michael!
Nun ist es soweit!
Wir entwickeln Kraft unseres Herzens die Fähigkeit eine Trockenzeit in der Leber zu fühlen.
Dankbar denken wir uns hinein in die sich neu entwickenden Nervenfaseren & Sinnesrezeptoren mittels unserer kreativen Imaginationskraft!
Wir bauen Wasser, Salz und Ascheberge um unsere neuen
und lichten Errungenschaften!
Yes, we can!
Sehr gerne bald (wenn Frühling ist)bei einem guten duftenden Kräutertee hoffentlich mehr davon!
Herzlichst Maria

Jelle van der Meulen hat gesagt…

Köln bebt und die Leber bebt mit. Diese Gedanke hatte ich noch nie: Carnaval ist das Fest der Leber! Dann noch eine Frage (weil ich mich diesbezüglich gar nicht auskenne): macht Alkohol die Leber nicht gerade trocken? Und: im Zug von Aachen nach Köln gab es gesternabend zwei Gerüche: Akohol und Urin. Wenn noch Benzin dazu kommt, ist man ja richtig in die Unterwelt angekommen. Übrigens: ein Kölsch trinke ich gerne. Herzlich, Jelle

Anonym hat gesagt…

Und wo ist hier die beleidigte Leberwurst? Ein Blog ohne Beleidigungen kann es gar nicht geben! Nitta

オテモヤン hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Anonym hat gesagt…

Ja, wahrscheinlich deshalb ist es