25.01.2010

Wie ich mir begegnete. Über meinen letzten LSD-Trip

Wir schreiben Herbst 1970. Mein Freund & ich haben zwei Stunden zuvor LSD eingenommen. Nach einer heiteren Wanderung sind wir aus Versehen auf dem Seitenstreifen einer Autobahn gelandet. Als ich eine Sirene höre, schaue ich nach links & sehe in der Ferne ein Blaulicht aufblitzen. Und irgendwo weit weg in mir klingt ein Wort, das ich aber nicht wirklich beachten kann, weil der Eindruck des pulsierenden Lichts mich komplett vereinnahmt.

„Polizei“, besagt das Wort. Eine tiefe & panische Angst kommt hoch, die sich bis in meine Gliedmaßen ausbreitet & mich überrumpelt. Alles, was irgendwie mit Gedanken oder Überlegungen oder Wörtern zu tun hat, wird aus mir weggeblasen, wie leere Plastiktüten in einem Sturm. Als die blitzenden rot-blauen Lichter mich erreichen & an mir vorbei sausen, scheinen sie ein riesiger Vogel zu sein, der wütend-heulend seine Opfer sucht.

Mit den Lichtern & der Sirene verschwindet auch die Angst. Was in mir übrig bleibt, ist eine Leere, eine Stille, ein Vakuum, wo ein silberner Glanz sich, wie das Licht des Mondes in einer frostigen Winternacht, bis in die letzten Ecken vorschiebt & verbreitet. Mein Freund will aber weiter. „Komm“, sagt er, „nicht weit von hier gibt es ein Kaffeehaus. Dort können wir etwas trinken.“

Mein Freund geht zügig voran & ich wackle hinterher. Nach einer Weile merke ich, dass ich nicht mehr alleine bin. Direkt rechts von mir geht ein schmaler Mann in einer braunen Jacke. Seine langen Haare liegen glatt auf seinen Schultern. Als er kurz seinen Kopf nach links dreht – nein, er schaut mich nicht an – sehe ich, dass er genau wie ich eine Brille aus Kupfer auf der Nase hat. Und sofort stelle ich erschreckt fest: der Mann sieht genauso aus wie ich.

Er scheint mir bis in seine Knochen arrogant & ignorant zu sein, als ob seine ganze Gestalt einen Stolz verkörpert, der peinlich unbegründet ist. Er scheint so zufrieden in sich selber zu sein, dass er auf nichts achtet, nichts für bemerkenswert hält, außer sich selbst. Obwohl er kein Wort sagt, weiß ich, dass er ein flottes Mundwerk hat. Er würde seinen Zuhörern das Gefühl vermitteln: ihr seid strohdumm.

Seine lockeren Bewegungen & seine selbstbewussten Schritte & die Worte die er sprechen könnte, sind gewandte Täuschungen, die gerade nichts offenbaren, sondern eine Leere verbergen müssen, ein grauenhaftes Nichts, das wie ein Loch in seinem Inneren gähnt. Das, was er vorgibt zu sein, nämlich, eine Person die sich auskennt in der Welt, ist er gerade nicht, weil seine Welt öde ist.

Mit dem Zunehmen der Angst gerate ich in eine Panik, die den Beobachter in mir zurückweist & schrumpfen lässt, bis zu einer winzigen Glühbirne ganz oben an einer Decke. Mir steht mein Denken nicht mehr zur Verfügung, meine Gefühle haben sich in Emotionen verwandelt & mein Wollen ist ein Nicht-Wollen geworden.

Ich will nicht mehr leben. Ich will weg von dieser Wahrheit, die eine Lüge ist. Ich kann den Anblick der Gestalt nicht mehr ertragen, weiß aber nicht, wie ich sie loswerden kann. Als ich auf dem Asphalt liege & nur noch ein Haufen Angst bin, denke ich: „Suche eine Brücke & springe runter!“

Mein Freund kommt auf mich zu gerannt, zieht mich auf meine Beine & sagt: „Jelle, Jelle, Jelle, du hast LSD genommen! Weißt du noch? LSD! Du bist in einem bad trip gelandet. Was du erlebst, ist nicht real. Alles sind Halluzinationen! Komm zurück! Schaue mich an! Ich stehe hier vor dir. Höre auf mich!“ Und das Wunder geschieht: ich komme langsam wieder zu mir, schaue meinem Freund in die Augen, spüre seine Hände in meinen Händen & merke, dass es ein Gegenüber gibt.

Ich habe Jahr um Jahr gebraucht, um die Begegnung mit meinem Doppelgänger zu verarbeiten. Ich verdanke der Erfahrung die Erkenntnis, dass in mir eine ungeheure Angst schlummert, die weit über alles Psychologische hinaus geht & anders als mein Freund damals meinte, sehr-sehr-sehr real ist.

In meinem Leben bin ich bis heute nie mehr an eine so düstere Stelle gekommen, wo ich mich hätte umbringen wollen – stärker noch: ich meine, dass die Erfahrung mich schützt, weil sie mir eine reale Schwelle aufgedeckt hat, die ich besser nicht unvorbereitet überschreite.

Mit Dank an Sophie Pannitschka

8 Kommentare:

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

Ein Bad Trip (LSD) ist eine üble Sache. In einer meiner Shortstories
("Späte Rehabilitation - Gedichte und Prosa") berichte ich gleichfalls
über die Folgen solcher Halluzinationen.

Herzliche Grüße

Michael Heinen-Anders

Unknown hat gesagt…

Du Fremdling Ich

Du Fremdling Ich,
du bist nicht was ich bin
und bist doch ich in meinem Sinn.
Du gibst mir keine Ruh.
Du schliesst meine Augen zu,
wenn ich mich sehne nach sehen,
wenn ich mich sehne nach Sicht.
Du bist meinen Wiederstand gegen mich,
du bist die Farbe im Gegenlicht,
bist in der Schwere das Gegengewicht,
bist in der Lüge das Gericht,
bist im Messer den Stich,
bist mein Opfer ohne Verzicht,
bist ohne Verpfichtung die Pflicht,
bist die Unsicherheit ruhend in sich,
bist den Alltag in diesem Gedicht.
So komme hier und küsse mich:
Denn was wärest du,
wenn ich wäre
ohne dich,

ein unsterbliches Nichts?

30 October 2008

Sophie Pannitschka hat gesagt…

Lieber Jelle, vielen Dank für diese Schilderung deiner Doppelgängerbegegnung. Mich würde interessieren, ob du deinem Doppelgänger später - vielleicht auf andere Weise - noch einmal begegnet bist und ob es gegebenenfalls etwas von ihm zu lernen gab. Wie integriert man im offiziellen Leben Doppelgängererfahrungen und wie lässt es sich mit diesem Gesellen an der Seite leben - den wir wohl alle kennen. Herzlich, Sophie

Jelle van der Meulen hat gesagt…

Liebe Sophie, der Doppelgänger ist immer da, tritt aber nur selten als "Vorstellung" in Erscheinung. Manchmal spricht unser Doppelgänger in den Worte und Verhaltensweise der Menschen um uns herum. Der Doppelgänger, so würde ich sagen, spiegelt uns die dunklen Seiten ins uns, dass heißt: die Sachen die verborgen an uns haften. Um der Doppelgänger begegnen zu können, braucht man die Selbsterkenntnis, dass wir von manchen Aspekten in uns noch gar keine Ahnung haben. Der Doppelgänger macht uns immer wieder deutlich, dass es ein Irrtum ist zu meinen: ich kenne mich schon. Herzlich, Jelle

Sophie Pannitschka hat gesagt…

Lieber Jelle, meinst du so etwas?

Ein neuer Spiegel

Ich bringe dir hier
einen neuen Spiegel,
ein klares Glas der Innenschau,
das alle Illusionen entlarvt -
auch die dunkle Angst,
die dein Denken beschattet.

Doch wird dieser neue Spiegel
auch das getreulich zeigen,
was wahr ist, nämlich
das "innere Selbst",
das vom Fleisch verhüllt wird
und nie in Erscheinung tritt.

Jeden Abend befrag deinen Freund, den Spiegel,
und ehe der Zauberer Schlaf sich meldet,
nütze die Zeit, dich klar zu erkennen
und allen Staub zu entfernen.

Raramahansa Yogananda

Herzlich, Sophie

Anonym hat gesagt…

Schon spannend. Geht es aber nur um Halluzinationen? Wie Michael H-A offenbar meint? Ich glaube nicht. Nitta

dorothea hat gesagt…

Lieber Jelle,

das ist eine sehr eindrucksvolle Schilderung. In gewisser Weise, glaube ich, ist sie auch typisch gerade für Intellektuelle: dieses Besserwissen, was eigentlich nur hohl ist.

Den Doppelgänger gibt es ja wirklich. Wie spürst du ihn im Alltagsleben? Hat diese Begegnung dich irgendwie verändert? Spürst du, dass du ihm in kleineren Portionen immer wieder begegnest?

Danke für diesen so ehrlichen Text.

Dorothea

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

WUNDER

Fremder allerorten:
lass los.
Sei kein Gefangener mehr
Deines niederen Abbildes.
Schaue hinauf:
besiege die Wunschnatur.
Anders gelingt Dir die Reise
nicht;
nur offen und frei
kommst Du
in die Welt
der Wunder
hinein.

(Michael Heinen-Anders)

http://www.books.google.de/books?isbn=3839137535