25.10.2009

Sammy und Samuel heute. Über die Musik von Joachim Goerke

Heute fragt Sammy: „Lieber Samuel, wo bist du? Es scheint mir, als ob du verschwunden wärest. Irgendwie scheinst du unterwegs zu sein, ich meine: nicht mehr so ganz bei dir. Hast du dich an einem unbekannten Ort verloren? Steckst du in einer Jazzbar? Sehnst du dich nach John Coltrane? Oder Captain Beefheart? Trinkst du? Rauchst du? Oder hast du dich hinter einer Tarnkappe versteckt? Ringst du mit deinen Texten-im-Kommen?“

(...)

Sammy: „Oder liegt es an mir? Ich räume ein, dass ich in der letzten Zeit nicht mehr so richtig verstehe, wo ich bin. Als ob Coltrane mich mit seinem Saxophon weggeblasen hätte. Ich fühle mich frei schwebend, ohne Ziel, ohne Frage, als ob meine Präsenz keinen Bezug mehr zu den Ereignissen in deinem Leben hat. War das nicht unsere Abmachung, Samuel, dass wir darauf schauen, wie dein Wohlergehen mit meiner Existenz zusammen hängt?“

(...)

Sammy: „Ohne deine Zuwendung komme ich nicht vom Fleck. Unsere Sache ist noch nicht erledigt: ich stehe noch immer im Wohnzimmer meiner Eltern und versuche mich von meinem Schreck zu befreien. Ich vermisse dich. Viel Zeit ist vergangen, obwohl ich schon verstehe, dass meine Einsamkeit mit Monaten und Wochen und Tagen und Stunden nichts zu tun hat.“


Samuel: „Ich höre gerade Klaviermusik.“

Sammy: „Wer spielt?“

Samuel: „Joachim Goerke“.

Sammy: „Wer ist das?“

Samuel: „Ein Meister der Ruhe“.

Sammy: „Jetzt kann ich die Musik hören.“

Samuel: „Wie kann man über diese Musik reden? Der Meister der Ruhe hat seinen Musikstücken Titel gegeben, die vielleicht als ein Hinweis zu verstehen sind. ´Die Stille in deinem Herzen´. ´Heiliger Raum´. ´Mutter, ich komme zu Dir`. ´Das Kind in mir`. Und: ´Danke`. Für mich sind die Titel aber irreführend, weil die Musik mit solchen Wörtern nichts zu tun hat. Nur der letzte Titel, ´Danke´, scheint mir ein bisschen zu stimmen.“

(...)

Samuel: „Einfacher ist zu beschreiben, was seine Musik nicht macht. Sie begeistert nicht. Sie schreit, weint, lacht nicht. Sie verwirrt nicht. Sie geht nicht, zieht nicht, drängt nicht. Sie kommt nicht nicht vom Fleck. Sie geht nicht von rechts nach links, nicht von links nach rechts. Sie ist nicht in einer Mitte, nicht in einer Peripherie. Sie kommt nicht auf mich zu, nimmt mich nicht auf, lässt mich nicht in Ruhe, spricht von nichts.“

(...)

Samuel: „Die Musik des Meisters der Ruhe fällt mit der Stille der Zeit zusammen. Sie scheint mir mit dem Wesen der Zeit befreundet zu sein, sie hält inne, öffnet mit einer bescheidenen Verbeugung die Tür zu einem Raum, in dem keine Uhren ticken und in dem die Monate und Wochen und Tage
und Stunden sein können, was sie sein wollen: vertikale Säulen. Lieber Sammy, sei gegrüßt!“


(Über Joachim Goerke: http://www.sajema.de)

7 Kommentare:

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

Die Kompositionen von Joachim Goerke & Band erinnern mich zuweilen an Darbietungen des United Jazz & Rock Ensembles, in dem Wolfgang Dauner (Piano), Volker Kriegel (Gitarre), Eberhard Weber (Bass), Charlie Mariano (Saxophon u. Klarinette) und Barbara Thompsen (Saxophon u. Klarinette) abwechselnd jeweils eigene Kompositionen in dieser Star-Besetzung zur Aufführung brachten.

Die leisen Töne des Joachim Goerke als Solo-Pianist erinnern mich aber seltsamerweise an an einen klassischen Komponisten, nämlich an Maurice Ravel in seinen Klaviersolokonzerten.

Insgesamt gefällt mir die Musik recht gut und ich kann nachvollziehen, dass auch Sammy und
Samuel daran Gefallen finden.

Herzlichen Gruß

Michael Heinen-Anders

Ruthild hat gesagt…

Lieber Sammy, lieber Samuel! Freue mich, dass Ihr wieder miteinander im Gespräch seid!
herzlich
Ruthild

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

Interessant wäre es sich der heutigen Musikkultur einmal aus anthroposophischer Sicht zu nähern.

Ich habe dazu unter:
http://www.anthrowiki.info/ftp/index0.php?dirname=/anthroposophie/Michael_Heinen-Anders
etwas veröffentlicht.

Vielleicht lohnt es, dort einmal hineinzulesen ...

Anonym hat gesagt…

Wer sind Sammy und Samuel eigentlich? Nitta

Das schrieb Sebastian G. jemand bei amazon zu Goerke hat gesagt…

Das ist Musik, die aus der Mitte kommt...und in die Mitte führt. Die ersten Klänge zeigen bereits die Stärke von Goerkes Musik: Sie knüpfen an die Stille an, die in jedem Menschen lebt.

Goerles "Danke - Thanks" ist wie ein Wegweiser in diese Stille, die letztlich das ist, was wir immer schon sind und immer sein werden...

Folge diesem Wegweiser und bereits beim ersten Schritt bist Du da, wo Du in Wirklichkeit immer bist und was Du immer bist: Die Stille.

Danke.

Jelle van der Meulen hat gesagt…

Liebe (unbekannte) Nitta, Sammy und Samuel sind zwei literarischen Gestalten. Du kannst mal unter "Themen" schauen - da findest du die Blogs über die beiden. Herzlich, Jelle

Jelle van der Meulen hat gesagt…

Mir ist deutlich geworden, dass mein Text über die Musik von Joachim Goerke, als Kritik verstanden werden kann. So ist es aber ganz und gar nicht gemeint. Als die Mystiker versuchten, dass Allerhöchste zu beschreiben, sagten sie: es ist nicht das und auch nicht das und auch nicht das... So waren meine "negative" Bemerkungen gemeint. Ich bin darauf gekommen, weil die Musik von Joachim Goerke auf mich eine "mystische" Wirkung hat, die ich gerade als sehr positiv erlebe. Jelle van der Meulen