07.06.2009

Der Klavierspieler Johann spricht heute mit einer tüchtigen Reporterin

Im Stadtanzeiger hatte Johann flüchtig etwas über das Vorhaben des Oberbürgermeisters, die „wichtigen Gegenstände in der Stadt zu registrieren“, gelesen. Er erinnerte sich noch an den Satz: „Über den amtlichen Status der unterschiedlichen Gegenstände wird noch verhandelt“. Die Beamten um den Bürgermeister herum schienen sich nicht darüber einigen zu können, um welche Gegenstände es genau gehen sollte & wie sie eingeordnet werden müssten. Ein hoher Beamter meinte: „Klar ist, dass es sich vor allem auch um Kunstwerke, Musikinstrumente, Altäre, alte Bücher, Schmuck und Zelte aus der Mongolei handelt“.

Damals hatte die Sache Johann nicht besonders interessiert, jetzt aber wollte er sich erkundigen. Nach ein paar Telefonaten wurde ihm deutlich, dass tatsächlich das Amt des Oberbürgermeisters dafür zuständig war. Das sogenannte Gegenstands-Anerkennungs-und- Registrierungs-Monopol lag von A bis Z im Rathaus – nicht einmal das Finanzamt war in die Sache eingebunden. „Die Registrierungspflicht der unbekannten Gegenstände ist Chefsache“, wurde Johann mitgeteilt. Mehr wollte der Sekretär am Telefon aber nicht sagen, nicht einmal, welche offiziellen Unterlagen vorlagen & wie man sie erhalten könnte.

Ein Anruf beim Stadtanzeiger brachte mehr Erfolg. Die Stimme der Reporterin klang klar und kräftig: „Nein, am Telefon können wir über diese Sache nicht reden. Das geht gar nicht. Habe ich gut verstanden, dass Sie persönlich von RUG betroffen sind?“ „RUG?“ fragte Johann. „Ja“, sagte die Reporterin, „von der Registrierungspflicht der unbekannten Gegenstände“. „Ja“, sagte Johann, „sie wollen alles über einen Flügel wissen, der mir nicht einmal gehört“. „Verstehe!“, sagte die Frau, und sie nannte den Namen einer Kneipe am Alten Markt. „Können wir uns dort heute um fünf Uhr treffen?“

Die Reporterin war klein, aber wortgewaltig. Sie trank Bier, rauchte Davidoff-classic & schrieb & schrieb & schrieb. Sie schaffte es, alle wichtigen & unwichtigen Aussagen von Johann („Nein, bitte kein Bier – dann kann ich nicht mehr denken!“) auf das Papier zu kriegen. Ihre rechte Hand tanzte mit Johanns Lippen mit. Und ihre Fragen waren unausweichlich. Erst nach einer halben Stunde fand Johann die Gelegenheit seine Frage zu stellen: „Erzählen Sie mir bitte, was das alles auf sich hat.“

„Ich blicke ganz & gar nicht durch“, antwortete die Reporterin. „Ich weiß nur, dass RUG der dritte Schritt einer politischen Kampagne ist. Der erste Schritt wurde im Oktober vorigen Jahres durchgeführt, als der Oberbürgermeister in einer Rede an der Universität betonte, dass seine Aufmerksamkeit sich mehr & mehr & mehr auf die metropolische Gemeinschaft richten würde. So nannte er es: die metropolische Gemeinschaft... Ihm schien es wichtig zu sein, den Begriff ´metropolische Gemeinschaft´ in die Köpfe der Leute zu rammen. Seitdem redet man überall in der Stadt von der MPG. Die MPG soll das & das tun, das & das gerade nicht tun, das & das verstehen, das & das für wichtig halten.“

„Der zweite Schritt vollzog sich zwischen Weihnachten und Silvester. Der Oberbürgermeister hielt wieder eine Rede an der Universität, diesmal mit dem Titel: ´Der Wert der Gegenstände für die metropolische Gemeinschaft`. Er zitierte eine Reihe von Philosophen: Plato war dabei & Descartes & Kirchengarten & Heidegger. Ich kann nicht behaupten, dass ich verstanden hätte, was er alles sagte. Irgendwie schien er zu meinen, dass der moderne Mensch gerade dadurch ein moderner Mensch geworden sei, dass er Gegenstände wahrnehmen könne. So etwas. Der Oberbürgermeister sprach vom ´Gegenstands-Bewusstsein` der heutigen Menschheit. ´Wir müssen lernen`, sagte er, `die Gegenstände zu schätzen, weil wir ohne sie gar nichts sind `. So etwas.“

„Und dann kam RUG. Das war Anfang Februar. Ich war zu einer Pressekonferenz ins Rathaus eingeladen worden & dort waren der Oberbürgermeister & ein Beamter namens Schmitz & noch eine Menge Leute mehr. PowerPoint mäßig wurde von RUG 1 & RUG 2 & RUG 3 berichtet – irgendwie schien sich diese Nummerierung auf Kategorien zu beziehen: wirksame Gegenstände & gefährliche Gegenstände & nicht eindeutige Gegenstände... So etwas... Es ging irgendwie darum, die Gegenstände ins kollektive Bewusstsein der MPG zu heben. ´Bis jetzt`, sagte der Oberbürgermeister, ´ist das Wahrnehmen der Gegenstände leider nur eine individuelle Angelegenheit gewesen. Wir sind aber dabei, die Bedeutung der Gegenstände auf eine kollektive Ebene zu heben`. Der Beamte Schmitz hat dann eine Stunde lang über Beobachtung & Dokumentation gesprochen & irgendwie schien vor allem der Philosoph Heidegger diesbezüglich wichtig zu sein. Schmitz sprach davon, dass die Dinge in die Dunkelheit geworfen worden seien & dass dringend eine Lichtung gebraucht werde. ´Es geht ja eindeutig um die Ordnung der Dinge´, meinte er.“

„Ich gehe mal davon aus“, sagte die Reporterin noch, „dass der Oberbürgermeister mit MPG & RUG versucht, die politische Debatte neu zu bestimmen. Er will von der Finanzkrise & der Wirtschaftskrise & der Arbeitslosigkeit & der Kinderbetreuung weg. Alles was er nicht im Griff hat, soll hinter einer übergeordneten Sache verschwinden, die niemand versteht. Wir müssen also wach sein!“

Mit Dank an Sophie Pannitschka

8 Kommentare:

Katharina hat gesagt…

.... ´Bis jetzt`, sagte der Oberbürgermeister, ´ist das Wahrnehmen der Gegenstände leider nur eine individuelle Angelegenheit gewesen. Wir sind aber dabei, die Bedeutung der Gegenstände auf eine kollektive Ebene zu heben`....

Lieber Jelle,
ich vermute, dass Du nicht einfach nur eine Geschichte schreiben willst. Ich lese in diesen Sätzen etwas ganz Besonderes, was sich aber verbirgt. Aber was ist es? Und welche Bedeutung gibst Du dem Wort Gegenstand?
Und: mir scheint, die tüchtige Reporterin hat den Oberbürgermeister nicht verstanden. Sie hat Angst.
Herzliche Grüße!

Katharina hat gesagt…

oder:
Johann ist wieder verwirrt. Was geht hier vor? Was der Oberbgm. sagt, hat eine große Bedeutung. Er hat etwas vor und will etwas verändern oder bewirken.
Aber warum hat die Reporterin eine so große Angst?

Jelle van der Meulen hat gesagt…

Liebe Katharina, ich kann die Fragen nicht beantworten. Wahrscheinlich müssen wir die Geschichte schreiben... Herzlich, Jelle van der Meulen

Katharina hat gesagt…

Schade! Aber ich bin wohl zu ungeduldig. In Deiner Geschichte liegt ETWAS verborgen!?

Anonym hat gesagt…

die erziehung eines kleinkindes ab der geburt wird immer mehr nicht mehr "sache" eines einzelnen, mutter und vater, sondern zu einem allgemeingut gemacht.siehe krippe. kinder werden oft wie gegenstände behandelt und betrachtete, sie haben zu funktionieren. individualität ist in gefahr, gleiche noten, gleiche zeugnisse, gleiches abitur, gleiche kleidung, gleiche .....gegenstände. gegen stand, dagegen stehen, sich gagegen stellen, anders sein, einfach ein flügel. flügel. nach dieser geschichte möchte ich meine geschichte haben, ein gegen stand punkt haben, freiheit, gleichheit(?),brüderlichkeit.
Gleichheit als gleich-gültigkeit, das ist erschreckend und doch ist es unser zeitgeschehen, unser gegenstand, unsere geschichte.
liebe, liebe grüße, birgit

Andrea hat gesagt…

Das Staubkorn in Johanns Auge, das ihn zu reinigenden Tränen gereizt hatte, war längst mit einer kleinen Handbewegung weggewischt.
Die Aufgabe "unwichtig" zu sein war also erfüllt! Es war für das Staubkorn von je her wichtig das zu erproben, was geschieht, wenn es Aufmerksamkeit auf sich lenkt?
Der lang ersehnte Moment, Aufmerksamkeit auf sich ruhen zu haben ist nicht so sanft und weich wie es sich das sonst so gewöhnt ist. Sondern dieses eine Mal ist es erschrocken und ist so heftig berührt, dass es sich am liebsten wieder verstecken will und auf einen anderen Moment auf Aufmerksamkeit warten will. Die Stille und die Sehnsucht in der Einsamkeit nach diesem auf sich Aufmerksam machen erzeugt süsse schmerzliche Erwartung. Wenn die Sehnsucht erfüllt wird und die Berührung so stark ist kann es Verneinung, Verschliessen zum Schutz hervorrufen. Das grosse innere Ja zu schützen.Wo doch Verschmelzung erträumt wurde.

Jelle van der Meulen hat gesagt…

Ich bin froh über die Beiträge. Und gespannt wie es weiter geht. Jelle van der Meulen

Andrea hat gesagt…

Eine Möglichkeit:

Als Johann wieder an seinem oder wem auch immer, Klavier sass,spielte er eine leise sanfte Melodie,die ihn nach dem Treffen mit der wirklich tüchtigen Reporterin zu sich brachte. Dann entstand im weiterspielen eine Musik, die aus der Tiefe kam und einen Nachklang des Gesprächs und eine Beschreibung der Reporterin war. Das Zeitalter des Gegenstandsbewusstseins sollte das nicht zu Ende gehen? fragte er sich. Wieso dann das viele Aufhebens darum? ja er lebte ja schon zu einem Teil in der neu anbrechenden Zeit. Gegenstände, woher sie auch sein mögen,liebevoll und sachgemäss zu behandeln war ihm eine Selbverständlichkeit. Gut er froh die Reporterin gesprchen zu haben. Ihr Aufruf wach zu sein nahm er sich besonders zu Herzen.