27.03.2009

Turm von Babel steht noch da (1). Über eine stolze Beleidigung

Der Turm von Babel steht noch immer da - in der Geschichte, in der Gegenwart, in mir, in dir, in uns... Er ist nicht nur unvollendet, so wie wir das vielleicht schon wissen, sondern er zerfällt auch, wie eine Ruine. In seiner Halbheit fällt er auseinander und ist dadurch nicht einmal mehr unvollendet.

Auf dem weiten Feld um ihn herum liegen seine Steine, seine Treppen, seine Dachziegel, seine Schornsteine... Man braucht einen Einblick in seine Geschichte, um sehen zu können, dass er einmal ein hoher und stolzer Turm sein sollte – ohne diese Erkenntnis sähe man nur einen Stumpf in einem Trümmerfeld.

Und man würde sagen: „Na ja!“

Ich möchte versuchen, mich um die Ruine zu kümmern. Nicht, dass ich viel machen könnte, wahrscheinlich sogar überhaupt nichts. Denn ich bin kein Architekt, kein Archäologe, kein Historiker. (Nicht einmal ein Tourist.) Mir stehen keine Baupläne, Kräne und Finanzen zur Verfügung, nicht einmal eine Kamera – das Einzige was ich habe, sind meine Aufmerksamkeit und meine Worte. Mich um die Ruine zu kümmern, heißt also nur: ich begebe mich auf das Trümmerfeld und beschreibe in Worten was ich vorfinde.

Ein Turm ist ein Gebäude. Irgendwann sind wir Menschen auf den Gedanken gekommen, dass wir bauen können. Wir waren bestimmt längst nicht mehr im Paradies, denn dort wird nicht gebaut. So ist das mit dem Paradies: man kommt nicht auf den Gedanken dort zu bauen, weil der Ort vollendet ist. Das Bedürfnis, ein Haus oder einen Tempel oder einen Turm zu bauen, entsteht erst, wenn irgendetwas nicht (mehr) stimmt.

Weil Menschen aber offensichtlich gestalten wollen, ja, ohne die Tätigkeit des Gestaltens nicht vollständig sind, ist das Paradies ein ungünstiger Ort. Gerade in seiner Vollständigkeit ist das Paradies aus menschlicher Sicht unvollständig. Die Vollständigkeit des Paradieses war damals – damals? oder heute? - so komplett und allgegenwärtig, dass nur ein explizites Verbot den Weg zur Freiheit bot. Man könnte auch sagen: Gott hatte mit seinem kuriosen Verbot in seinem Paradies einen Trick eingebaut.

Oder noch genauer gesagt: wir brauchen einen mythologischen Trick um einerseits die Vorstellung des Paradieses als vollständigen Ort aufrecht zu halten und anderseits selbst gestalten und bauen zu dürfen. Das Verbot war wie ein gerade-nicht-gerade-doch von Gott geplantes Loch im Zaun. Mit klaren Begriffen und bewussten Zielen konnten wir uns damals - damals? oder heute? - nicht vom Paradies und letztendlich von den Göttern verabschieden. In einer verwirrenden und sehr innigen und eben unausgesprochenen Zusammenarbeit mit Gott sind wir aus dem Paradies gerutscht und auf unsere eigenen Beine gestellt worden.

Uns ist deswegen noch immer nicht klar, was wir genau machen, wenn wir etwas gestalten. Sind wir als Bauende unserem Schöpfer treu? Oder ist jedes Haus, jede Autobahn, jede Kirche, jeder Turm im Grunde genommen eine Art Beleidigung? So lange wir glauben wollen, dass Gott existiert, haben wir als Baufrauen und Bauherren ein Problem, weil seine Vollständigkeit immer wieder peinlich genau unsere Unvollständigkeit hervorhebt. Es ist also durchaus sinnvoll, nicht an Gott zu glauben.

Mit dem Turm von Babel steht es anders, das heißt: der Turm sollte anders da stehen. Der Turm war gerade als stolze Beleidigung gemeint. Der Turm von Babylon war eine groß ausgeführte Frechheit, ein bewusster und gewollter Versuch, Gott zu lästern und zu beschimpfen und vor allem überflüssig zu machen. Der Turm von Babylon stellt ein großartiges Paradox dar: Gott, wir brauchen dich nicht, um dich zu erreichen!

Mit Dank an Sophie Pannitschka

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Gott, wir brauchen dich nicht, um dich zu erreichen!"

Grossartig, Grossartig!!!!

Anonym hat gesagt…

Der Turmbau zu Babel: Gen 11,1-9

1 Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte.
2 Als sie von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an.
3 Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel, und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel.
4 Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.
5 Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten.
6 Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie, und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen.
7 Auf, steigen wir hinab, und verwirren wir dort ihre Sprache, so dass keiner mehr die Sprache des anderen versteht.
8 Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde, und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen.
9 Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut