16.09.2008

Was es heißt, mit Schenkgeld zu leben. Über Freiheit

Seit einem Jahr wird mir jeden Monat ein Betrag von 250 Euro überwiesen. Ich brauche dafür nichts zu tun, dass heißt, von mir wird keine Gegenleistung erwartet. Verantwortlich für diese Tatsache ist die „Zukunftsstiftung soziales Leben“ von der GTS-Treuhandstelle in Bochum – in meinen Worten: eine Unternehmung die Geld in Freiheit investiert. 

Vor einem Jahr habe ich „ja“ gesagt. Und damit liegt die Verantwortung genau so bei mir. Wir haben einen „Deal“ gemacht. Wir haben uns die Hände geschüttelt, einander in die Augen geschaut und gesagt: wir spüren Vertrauen, wir machen es also. Ein Deal – vor allem die Engländer und die Amerikaner wissen das – ist eine Sache des Vertrauens. Und beide Parteien wissen, dass das Leben entweder über links oder über rechts über die definitive Ordnung der Dinge entscheidet.

Was ist die definitive Ordnung der Dinge? Was haben mir die 250 Euro ermöglicht? Als erstes würde ich sagen: sie haben mir geholfen, Freiheit noch besser als Baustelle zu verstehen. Wir alle wissen, dass Geld keine einfache Sache ist, egal ob man wenig oder gerade viel davon hat. Ich behaupte, dass fast kein Mensch ein freies Verhältnis zu Geld hat, so, wie kaum jemand ein freies Verhältnis zu Sex oder Macht hat.

Zu einer „Kultur des Herzens“ gehört es, soziale Einrichtungen zu gestalten, wo das Erlangen der Freiheit in Bezug auf Geld geübt werden kann. (Oft meint man, dass eine Kultur des Herzens auf Freiheit basiert. Nein, eine Kultur des Herzens nimmt die Tatsache ernst, dass Freiheit erst erobert werden muss. Die Kultur des Herzens ist diesbezüglich eine Eroberungskultur.)

Wie sieht es mit meiner Unfreiheit aus? Als vor einem Jahr die Zusage kam, 250 Euro pro Monat zu bekommen, war ich glücklich. Ich dachte: toll, eine Sorge weniger. Ja, auch das muss klar gesagt werden: mir ist dieser Betrag jeden Monat geschenkt worden, weil ich nicht souverän im Stande war – und noch immer nicht bin – mir diese Freiheit zu erobern.

Ich mache seit etwa fünfzehn Jahren immer wieder gerade die Sachen, die wenig Geld bringen. In dieser Hinsicht wäre ich besser Journalist geblieben, denn dann hätte es ganz anders ausgesehen. Das wollte ich aber nicht. Manchmal denke ich: Jelle, du bist 57 Jahre alt und du hast es nicht geschafft den Wohlstand zu erreichen. Was ist los mit dir?

Ja, was ist los mit mir? Das ist so ein Gedanke, mit dem man fertig werden muss, wenn man mit Schenkgeld lebt. 

Ich dachte also: toll, eine Sorge weniger. Nach ein paar Monaten kam aber der Gedanke: Jelle, du solltest doch irgendwie zeigen, dass der Deal berechtigt war! Auch wenn die Stiftung sagt: Jelle, wir verlangen von dir nur, dass du dasjenige machst, was du von dir aus machen willst. Es bleibt aber eine Tatsache, dass es eine Enttäuschung wäre, wenn ich sagen würde: ich habe mir Zigaretten davon gekauft. Zumindest – ich kann natürlich nur für mich sprechen – steht fest, dass ich es für mich dabei nicht lassen kann. Auch wenn die Stiftung keine Erwartungen an mich hat, - ich erwarte etwas von mir. 

Wie frei ist die Erwartung, die ich an mich habe? Na, ich würde sagen: die Antwort ist gemischt. Wahr ist aber – und darin liegt aus meiner Sicht die Bedeutung einer Schenkung – dass die Frage in mir mittlerweile richtig zu meiner inneren Baustelle gehört. Ich arbeite an der Frage und die Frage arbeitet an mir.

Es gibt aber noch etwas zu sagen. Seit Juni letzten Jahres veröffentliche ich jede Woche eine Story auf meiner Website. Und die Themen, die dort auftauchen, sind echt meine Themen: das kleine Kind, Tod und Betroffenheit, die Anthroposophie als postmoderne Diskurs, die Freundschaft als Baustein einer Kultur des Herzens, die Bedeutung der Sprache, eine Anthroposophie frei von Ideologie... Viel in meinem Leben macht mir Spaß – das Schreiben und Veröffentlichen der Beiträge auf meiner Website macht mir sehr viel Spaß. Ich erreiche damit viele Menschen – kriege viele Reaktionen. Und: die Website ist eine Art Baustelle für ein Buch, das ich schreibe. Über die Freundschaft.

Für mich verstehe ich die Ordnung der Dinge so: die 250 Euro pro Monat haben mir die Website ermöglicht. 

4 Kommentare:

Jasna Caluk hat gesagt…

Lieber Jelle van der Meulen,

Ich habe in meinem bisherigen Leben die Erfahrung gemacht, dass ich selten dort geerntet habe, wo ich gesät habe. Auch umgekehrt ist es wohl so, dass diejenigen, die mir etwas (ob materielle oder geistige Schenkungen) gaben, das in dem Maße (oder überhaupt) von mir nicht zurückerhalten haben, was immer ganz verschiedene Gründe hat. Aber das ist ja das Naturgesetzt. Was gesät wird, muss irgendwo und irgendwann wachsen und es ist doch dann nicht wichtig, ob ich es ernten werde oder andere, wenn wir davon ausgehen, dass wir alle EINS sind.

Jetzt habe ich gerade von einem „Maß“ gesprochen in Bezug auf das Geben und Nehmen, was ja sehr eigenartig ist. Wie sollen denn geistige Gaben oder Liebe berechnet werden? Da gibt es doch keine tariflichen Vorgaben (250 Euro = 250 Worte, oder so?!), nicht wahr? Für den einen wird vielleicht nur ein gelesener Satz lebensverändernde Auswirkungen haben und ein anderer wird nur aneinandergereihte Buchstaben sehen.

In jedem Fall finde ich, dass die 250 Euro eine super Investition sind, wenn sie den geistigen Austausch in dieser Form ermöglichen und uns teilhaben lassen an Ihrem Wissen, Ihrer Erfahrung und Ihren Geschichten.

Danke dafür!

Ganz Herzliche Grüsse und Alles Liebe
Jasna Caluk

Michel Gastkemper hat gesagt…

Lieber Jelle,
Die ‘GTS-Treuhandstelle in Bochum’ wird wohl ‘GLS-Treuhandstelle in Bochum’ heissen müssen (Abkürzung für Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken, meine ich zu wissen). Oder? (GTS steht meistens für Grand Tourisme Spécial oder Grand Tourism Special, oft sehr beliebt bei den Autobesitzern und -besitzerinnen...)
Herzlich,
Michel Gastkemper

Jelle van der Meulen hat gesagt…

Lieber Michel, du hast recht. Der Treuhandstelle in Bochum heißte mal "GTS": Gemeinnützige Treuhandstelle. Der Bank heißte ja "GLS". Schon eine Weile ist die Name der Treuhandstelle auch "GLS". Ich lebe offensichtlich in der Vergangenheit. Danke, dass du mich wieder in der Gegenwart gebracht hast. Und lieber Jasna: schön gesagt: selten ernten, wo man gesät hat... Herzlich, Jelle

Anonym hat gesagt…

Heißt das, dass es dir mit dieser Quintessenz - der Ermöglichung der Website - besser geht, als wenn es nichts Derartiges nach einem Jahr (mit geschenktem Geld) zu vermelden gäbe? Ich verstehe das. Und es macht deutlich, dass das Wesen des Geldes wirklich „Ermöglichung“ ist. Geld an sich ist nicht das wirkliche Thema, sondern das, was wir damit machen, damit machen können, dürfen oder auch müssen. Das freie Geld, das dir vertrauensvoll geschenkt wird, wird in dem Moment zu goldenem Geld, wenn es „eingesetzt“ wird - egal für welchen Zweck. (Und wenn es Zigaretten sind, die dir das Schreiben ermöglichen…)
Die GLS-Stiftung scheint mir in diesem Fall in die gleiche Richtung zu arbeiten, wie ich die Anliegen von Götz Werner verstehe. Die Gewichtung liegt auf dem Wort „Bedingungsloses“ Grundeinkommen. Eben Geld ohne Bedingungen.
Normalerweise bekommen wir ja Geld für bereits „geleistete Arbeit“, am Ende des Monats also, oder für „zu leistende Arbeit“ im Voraus für den Monat. Und gerade im anthroposophischen Umfeld fällt das oft bescheiden aus. Wenn wir aber Geld aus Freiheit zur Verfügung gestellt bekommen um etwas zu tun, was nicht festgelegt ist, so entsteht Zukunft - und das ist, so denke ich, ein großartiger Beitrag zu einer Kultur des Herzens.
Auch, wenn es gar nicht so einfach ist, Geschenke - Schenkgeld - anzunehmen. Auch das will gelernt sein.
Ein Hoch auf die GLS und deine Website!
Charlotte