03.01.2008

Über die Waldorfkindergärten in Deutschland (3) Werner Kuhfuss

Mir scheint es, in meiner Reihe von kurzen Beiträgen über die Waldorfkindergärten in Deutschland, unausweichlich zu sein, etwas zu dem Buch „Die Waldorfkindergartenpädagogik“[i] von Werner Kuhfuss zu sagen. Obwohl das Buch schon länger vorliegt, hat, so weit mir bekannt ist, kaum jemand darauf öffentlich reagiert.

Das Buch hat zwei Schichten. In der ersten Schicht geht es um die Frage, wie die Waldorfkindergartenpädagogik eigentlich zu verstehen ist. Ich muss schlichtweg sagen, dass die Beschreibungen von Kuhfuss diesbezüglich nicht nur sehr inspirierend sind, sondern eine seltsame Evidenz haben. Hier spricht ein Mensch, der souverän die Pädagogik im Sinne von Rudolf Steiner verinnerlicht hat und weit entfernt bleibt von Phrase & Routine & Konvention. Obwohl Wahrheit aus meiner Sicht eine wackelige Kategorie ist, meine ich sagen zu können, dass in dem Buch von Kuhfuss der Geist der Wahrheit wandert.

In der zweiten Schicht irrt aber ein Gespenst herum. Am Anfang des Buches, in einer „Vorbemerkung“, wird das Gespenst ins Leben gerufen. Werner Kuhfuss schreibt da unter anderem ein paar Sätze über Helmut von Kügelgen. Ich bin von Kügelgen persönlich nie begegnet, habe aber von ihm erzählt bekommen. Daraus habe ich verstanden, dass er einer der führenden Persönlichkeiten in der Gemeinschaft der Waldorfkindergärten in Deutschland war. Er hat eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der Waldorfkindergärten in Europa und den USA gespielt. Von Kügelgen ist im Jahr 1998 gestorben.

Werner Kuhfuss schreibt: „Die Rolle Helmut von Kügelgens, den der Verfasser noch als Seminarist Anfang der fünfziger Jahre an der Uhlandshöhe in Stuttgart erlebte, müsste – in aller Hochachtung und Würdigung seiner Persönlichkeit und sonstigen pädagogischen Arbeit – ohne Vorbehalte untersucht werden“. Und: „Dem Verfasser scheint, dass die Wucht und die Bürde der Verantwortung für die Geisteswissenschaft eine haltbare und die Zeiten überdauernde Kindergartenpädagogik schaffen zu sollen, einen seelischen Mechanismus in Gang gesetzt haben, aus dem von Kügelgen sich nicht zu befreien vermochte und über dessen Folgen gegen Ende seines Lebens, so wird gesagt, er unglücklich gewesen ist“.

Was mit dem „seelischen Mechanismus“ gemeint ist, wird nicht erklärt. Klar aber ist, dass von Kügelgen, laut Kuhfuss, seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Stärker noch, laut Kuhfuss scheint von Kügelgen dazu beigetragen zu haben, dass die Waldorfpädagogik in den Kindergärten sich in ihr Gegenteil verwandelt hat. Direkt nach den Bemerkungen über Helmut von Kügelgen erwähnt Kuhfuss einen Vortrag von Rudolf Steiner, in dem vom „Jesuitismus“ gesprochen wird. Steiner meinte damit eine Geisteshaltung, die darauf hinzielt, den Willen der Menschen gerade nicht frei zu lassen, sondern gezielt und absichtlich vorzuprogrammieren.

Laut Kuhfuss ist nun die Praxis in den Waldorfkindergärten als „jesuitisch“ zu verstehen. Er schreibt: „Durch die normierte Zeiteinteilung, die weltweit (...) auf angebliche Notwendigkeiten im Kleinkinderleben hinzielen, werden die Gewohnheitsleiber stereotyp und unindividuell präpariert, ganz im Sinne des den Jesuiten zugeschriebenen Satzes: ´Beeinflusse ein Kind bis zu seinem siebten Lebensjahr und du hast den Menschen fürs ganze Leben`.“ Über von Kügelgen schreibt Kuhfuss noch: „Mit dem Wort Jesuitismus ist somit nicht die Person Kügelgens gemeint, sondern eher der Charakter eines Verantwortungsmechanismus, der sich dann, nicht nur bei ihm, einschleichen konnte und kann (...).“

Die Rolle Helmut von Kügelgens in der Entwicklung der Waldorfkindergärten wäre also laut Werner Kuhfuss „vorbehaltlos“ zu untersuchen – und zwar „in aller Hochachtung und Würdigung seiner Persönlichkeit“. Mir scheint es aber alles andere als „würdigend“ zu sein, der Persönlichkeit Kügelgens ohne Argumente & Gesichtspunkte & Erklärungen eine Art „jesuitische“ Gefangenschaft, aus der er sich „nicht zu befreien vermochte“, zuzuschreiben. An dieser Stelle hat, so scheint es mir, Werner Kuhfuss noch einiges zu erklären. So lange er das nicht macht, trägt er dazu bei, dass die Gemeinschaft der Waldorfkindergärten von Gespenstern heimgesucht wird.

Rein inhaltlich, d.h. ohne den unbegründeten Vorwurf des Jesuitismus´, kann ich aber gut nachvollziehen, was Werner Kuhfuss in seinem Buch versucht zu übermitteln. Er hat meines Erachtens recht, wenn er z. B. sagt, dass die weltweit uniforme Zeiteinteilung in den Kindergärten, die individuelle Entfaltung gerade nicht fördert. Ganz am Ende seines Buches fasst Kuhfuss sein Anliegen treffend zusammen. „Der heutige Waldorfkindergarten“, schreibt er, „ist einer der Gefühle, und zwar von Erwachsenen, die sie in die Kinder hinein projizieren. Der zukünftige Kindergarten ist einer, der die kosmische Intelligenz, die dem Wollen, Fühlen und Denken des Kindes innewohnt, (...) auf Erden zu bestätigen hat.“ Wenn das gelingt, werden Kindergärten freie Orte in einer Kultur des Herzens sein.
(Mit Dank an Birgitt Kähler)
[i] Werner Kuhfuss, Die Waldorfkindergartenpädagogik, Verlag Ch. Möllmann, 2005

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Diese Weite, die sich auftut schon beim Lesen des Buches, ist himmelstürmend.
Es ist nachvollziehbar, dass Kinder ein altes Dorf mit seinen HandwerkerInnen brauchen und viel Außenraum, um das, was geboren und getan werden will, zu probieren,ebenso einen Ruheraum zum Innehalten, eine Kunst-volle und Nahrungs-volle Begleitung in nicht penibel festgelegten Rhythmen.
Es ist an der Zeit, dass sich die Waldorfkindergarten-Bewegung bewegt zu einem individuellen Formwillen, sich in den Fluss hineinbegibt, ohne Angst und voll dem ihr eigenen Geistigkeit.
Die ErzieherInnen-Seminare können da Wegbereiter für einen Kultur-schaffenden Kinderraum sein, der je nach Ort eben individuell ist. Dann sähen sich die Orte nicht alle so ähnlich.
Herzliche Grüße aus der Nähe von Leipzig