15.08.2007

Das Selbst ist unzerstörbar (1)

Eine entscheidende Erfahrung scheint mir die zu sein, dass man sein „Ich“ oder sein „Selbst“ als unvernichtbar und unzerstörbar erlebt.
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Mit „Ich“ oder „Selbst“ ist hier nicht die Instanz gemeint, die ich gewohnt bin „Jelle“ zu nennen. Dieser „Jelle“ ist zerstörbar: wenn er stirbt, ist damit die einzigartige Konstellation von Körper, Seele und Bewusstsein, die wir „Persönlichkeit“ nennen, aufgehoben. Mit „Ich“ oder „Selbst“ ist hier gemeint, was Rudolf Steiner „die ewige Individualität“ genannt hat, das heißt, eine Instanz, die man als Instanz nur auf der geistigen Ebene unmittelbar erleben kann. (Das man die Wirkungen dieser Instanz auch auf anderen Ebenen erkennen kann, ist eine andere Sache.)
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Bevor ich etwas dazu sage, ob ich die Erfahrung der Unzerstörbarkeit des Selbst kenne oder nicht kenne, müssen ein paar Bemerkungen vorausgeschickt werden. Wenn man vom Selbst spricht, begibt man sich in eine diskursive Landschaft, wo zumindest vier Urteile kräftig herrschen. Aussagen über das Selbst bleiben meines Erachtens wirkungslos, wenn diese Urteile nicht bewusst ins Auge gefasst und mit einbezogen werden. Die vier unterschwelligen – und ganz unterschiedlichen – Urteile führen dazu, dass das Thema oft mit einer falschen Verlegenheit besprochen oder gerade gar nicht besprochen wird. Es ist wegen dieser Urteile not done über die Erfahrung vom Selbst zu sprechen oder zu schreiben.

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Das erste Urteil besagt, dass sprechen oder eben denken über das Selbst in sozialer Hinsicht gefährlich ist. Wenn man sagt, ich habe einen bewussten „Draht“ zu meinem höheren Ich, scheint man implizit auch zu sagen: ich bin besser oder weiter oder geistiger als viele Andere. Auf der sozialen Ebene ist das offensichtlich schwierig zu ertragen oder zu verkraften. Karl Popper würde es so sagen: das metaphysische Gerede von Selbsten und Ichen ist eine Bedrohung für die offene Gesellschaft, weil dadurch die politische Gleichheit in Frage gestellt wird. (Das die Geschichte ihm zumindest halbwegs Recht gibt, braucht hier nicht erörtert zu werden.)

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Das zweite Urteil besagt, dass die Erfahrung vom Selbst eine reine „private“ Angelegenheit ist. Erfahrungen vom Selbst werden oft erlebt als „intim“ oder eben „innig“, genauso wie Sex und Geld. Man meint, es ginge niemand etwas an, ob ich solche Erfahrungen habe oder nicht. Mir scheint allerdings gerade diese Haltung, ein enormes Hindernis zu sein. Das Sprechen von der Erfahrung vom Selbst soll nicht in der privaten Sphäre verborgen bleiben. Zwar soll man taktvoll damit umgehen (wegen dem oben genannten Grund) – die Tatsache ist aber, dass es um Erfahrungen geht, die gerade und grundsätzlich über das Persönliche hinausgehen. Kreise von Menschen mit spirituellen Absichten, die nicht über die Erfahrung vom Selbst sprechen, befinden sich in einem Widerspruch.

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Das dritte Urteil hat mit der Tatsache zu tun, dass vor allem in der wissenschaftlichen Welt das „Selbst“ gar nicht existiert. Der Gedanke, dass es so etwas wie eine „ewige Individualiät“ gäbe, wird als eine metaphysische Annahme verstanden, ein Gedanke also, der nicht im reinen Erfahrungsbereich liegt, sondern im Bereich der Spekulation. Seit die Metaphysik großartig abgehackt worden ist, gilt auch das Selbst im ontologischen Sinne als non-existent. Wenn man also vom Selbst spricht und von der Erfahrung des Selbstes, hat man Einiges zu erklären. So tun als ob man nichts zu erklären hat, kann auf der persönlichen Ebene berechtigt sein – ich darf nämlich denken was ich will. Sobald man sich aber in der Öffentlichkeit diesbezüglich äußert oder verhält, soll man mit dem dritten Urteil rechnen. (Tut man das nicht und handelt man verlogen, kriegt Popper recht.)

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Das vierte Urteil besagt, dass das Selbst gar nichts mit meinem alltäglichen Ich zu tun hat. Populär ist in diesem Zusammenhang das Wort „Ego“, das seit den sechziger Jahren in quasi spiritueller Literatur auftaucht. Dieses Urteit basiert auf einem Dualismus: das Selbst ist gut, das Ego ist schlecht. Das Ego wäre irgendwie auszuschalten, zu umgehen, oder zu knechten. In dieser dualistischen Vorstellung entsteht ein „Subjekt“, das „subjektiviert“ (unterworfen) werden muss. Einerseits ist laut dieses Urteils das Ego eigenlich „gar nichts“, nur eine „Illusion“ oder „Projektion“ – anderseits aber scheint das Ego ein gewaltiges Hindernis zu sein, fast genau so unvernichtbar (weil SEHR egoistisch) wie das Selbst. Mir scheint aber, dass das alltägliche Ich, das Ego also, nur zu verstehen ist als ein bedeutungsvolles Geschöpf vom höheren Ich. Zwischen meinem Alltags-Ich (meiner Persönlichkeit) und meinem Selbst besteht eine delikate und vor allem multi-dimensionale Beziehung, die nicht mit einfachen dualistischen Begriffen zu erfassen ist.

(Nächste Woche weiter.)
Mit Dank an Birgitt Kähler

2 Kommentare:

karl gumbricht hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
karl gumbricht hat gesagt…

Sowenig ich mir sicher bin wohin Sie uns mit dieser Reihe führen werden, mag ich Ihren Tonfall gut leiden.

Ihren Ausgangsüberlegungen kann ich folgen, auch wenn ich möglicherweise noch Widerspruch zu Ihren Argumenten erkenne, da mir die Trennung von Selbst und Ego nicht einleuchtet - vor allem nicht als pädagogischen Impuls, der eine Überwindung des EGOs fordert. Andererseits bin ich gespannt zu lesen, welche grundlegende Idee dahinter steckt und welche positive Annahmen daraus resultieren.

Ich werde Ihren Ausführungen folgen und wünsche Ihnen für Ihre Arbeit hier im Netz eine zahlreiche Leserschaft.