20.08.2007

Das Selbst ist unzerstörbar (2)

In meinem Buch „Herzwerk“ beschreibe ich drei Erfahrungen, die für mein Verständnis mein „Selbst“ betreffen. Es geht um Erfahrungen, die sich alle drei an einer ganz bestimmten Schnittstelle befinden. Nämlich zwischen dem, was man üblicher Weise das Alltags-Ich nennt und dem, was man als höheres Ich bezeichnet. Es sind Erfahrungen, die nicht nur zwei „Instanzen“ voraussetzen, sondern auch eine intime Beziehung zwischen diesen beiden „Instanzen“ verraten. Die erste Instanz nennt man wohl „Selbst“ oder „höheres Ich“ oder „ewige Individualität“; die zweite heißt „Ich“ oder „niederes Ich“ oder „Alltags-Ich“ oder „Subjekt“ oder „Ego“ oder eben ganz süß „mein Ichlein“ (Georg Kühlewind). Die zweite Instanz nennen wir Jelle, Anna, Janis oder Sebastian. Laut Rudolf Steiner gibt es für die erste Instanz einen „Mysteriennamen“, der uns meistens unbekannt ist.

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Die Trennung zwischen beiden Instanzen existiert nur für die zweite Instanz. Interessant ist, dass die Erfahrung vom Ich in der Jugend (Herzwerk, Seite 51) noch zusammenfällt mit der Erfahrung vom Selbst. Wenn ich als Kind „Ich“ sage, oder meinen Namen „Jelle“ in mir ausspreche und dabei die beglückende Empfindung habe, dass ich existiere, gibt es – auch nicht in der Analyse-im-Nachhinein – keine Trennung zwischen Alltag und Ewigkeit. Um zu verstehen, wie diese Trennung sich allmählich vollzieht, ist es hilfreich auf das zu schauen, was Michel Foucault unter „Subjektivierung“ versteht.

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Subjektivierung hat eine doppelte Bedeutung. Positiv heißt es: ein Subjekt bilden; negativ heißt es: unterwerfen (oder unterworfen werden). Laut Foucault ist ein Subjekt immer ein Zwischen-Ding, das einerseits von dem Selbst und andererseits von der natürlichen oder sozialen Umgebung kreiert wird. Ein einfaches Beispiel ist ein Kellner, ein Mensch ist ein Kellner, das heißt, dass er als Kellner „arbeitet“. Der Kellner ist ein Subjekt, weil er sich selber in seiner Tätigkeit versteht und auch von anderen verstanden wird. Als Subjekt hat man ein klares Verhältnis zu seiner Umgebung, also als Kellner, als Schriftsteller, als Vater, als Sklave, als Mann oder Frau, als Kind, als Penner.

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Es gibt Subjekte, die „unterworfen“ sind. Ein Kellner zum Beispiel, der seine Arbeit nicht mag, ist – aus welchem Grund auch immer – unterworfen. Das Subjekt wirkt wie ein Gefängnis. Es gibt aber auch Kellner, die strahlen, das heißt, dass sie vom Selbst aus das Subjekt „Kellner“ füllen, bewegen, gestalten, oder mit einem Begriff von Foucault „stilisieren“. Sie haben die inner-persönlichen-Machtverhältnisse umgedreht und das Subjekt wird ein Kunstwerk. Laut Foucault ist an dieser Stelle entscheidend, dass die Umdrehung nur möglich ist, wenn ein Selbst ein freies Verhältnis zu sich selber findet. Oder anders gesagt: wenn ich Macht über mich ausübe, kann jemand anderes keine Macht mehr über mich ausüben (und ich höre damit auf, „das System“, oder „meine Vergangenheit“, oder „meine biologischen Eigenschaften“ usw. usw. für schuldig zu erklären.)

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Zwischen Selbst und Subjekt gibt es eine delikate Beziehung, platt gesagt: die beiden brauchen einander. Oder präziser gesagt: die beiden gehen aus einander hervor. Ohne Subjekte kommt meine „ewige Individualität“ nicht vom (geistigen) Fleck und ohne ein Selbst erhalten die Subjekte in Raum und Zeit keine Bedeutung.

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Subjekte existieren nicht ohne Körper. Ohne Körper kann ich kein Lehrer, Bäcker, Sohn oder Zuhörer sein. Was Foucault nicht denken wollte, ist der Gedanke: mit einem Körper kann ein Selbst (noch?) kein Selbst sein. Man kann diesen Gedanken auch phänomenologisch ausdrücken: „Ich“ habe die unmittelbare Empfindung, dass „Ich“ mehr bin als all meine Subjekte zusammen. Mir scheint die Kernfrage in bezug auf die Erfahrung vom Selbst dann diese zu sein: wie ist die unmittelbare Empfindung, dass ich mehr bin als all meine Subjekte zusammen, zu verstehen und zu bewerten? Ist diese Erfahrung ernst zu nehmen?
(Nächste Woche weiter.)

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