20.05.2011

Semai

Ich sah Dich sitzen,
plötzlich,
eingesunken,
vornübergebeugt
und weinend.

Du warst ausgehöhlt.

Das Gras war grün
und Pferde schnaubten
überall. Der Mann,
den Du nicht kanntest,
hatte um Deinen Hals
ein Seil gelegt.

Manchmal blickte er auf,
zu Dir,
sah aber nichts,
denn Deine Augen
waren von einem Vlies aus Schmerz
verdeckt.

Ich nenne Dich Semai,
so sagt es der Zug,
der sich langsam und singend
von der Stadt löst.
Ich höre die Stimme
Deines Vaters, sie spricht:
Du Traumkopf Semai,
singe das Lied über das Land,
das weit hinter den Dünen
im Nebel verschwand.

Und Du sangst. Und Dein Körper
bewegte sich schaukelnd
auf der Holzbank, hin
und her, sanft wie ein Schiff,
das ausgeladen wird. Hör!
Ein goldenes Segel erscheint
aus dem Nebel über dem Meer.
Und ein rauer Westwind
bringt alte Worte
von damals, als ein Gott
– er strahlte wie ein Mensch –
in dem kleinen Hafen eintraf,
die hohe Düne erklomm
aufs Meer zurückblickte,
schleppend, weinend sang und
weiter in den Osten zog, dorthin,
wo die leeren Orte warteten.
Und Dein Vater weiß es
wieder. Mit seinen Händen
knotet er die schweren Netze,
sieht die Schiffe wieder,
die nicht versinken konnten.
Sein Hafen ist wieder groß.

Das Gras war grün
und Pferde schnaubten
überall. Der Mann
hatte Dich gekauft.
Was wusste er vom Gold?
Was wusste er vom Hafen
und den schweren Netzen? Das Weinen
des Meeres kannte er nicht,
und sein Seil war grausam.
Er kannte nur die Hügel,
die nie schaukeln, das Gras
das nie singt, das Messer
das Brüder tötet.

Er kannte die Dämonen,
grün und groß und schnaufend,
die auf einmal erschienen,
flüchtend vor dem Glanz,
den er nicht sehen konnte.
Er schmiedete Amulette,
halbe, eiserne Monde,
die er mit seinen Stiefeln
im Boden zertrat.
Mit seinen Brüdern sprach er nicht
und seinem Pferd gab er
nur noch bittere Befehle.
Seine Angst war groß
vor den Dämonen, aber größer noch
die vor dem unsichtbaren Glanz,
dem Goldglanz aus dem Westen.

Manchmal blickte er auf,
zu Dir,
und sah auf Deinem Haar
einen Glanz, den er berühren
wollte, er tat es nie,
weil er sich nicht getraute.

Köln kommt näher und
ich habe es erfasst:
mich trägt der Boden
des Goldes, das Meer,
das einst die Schiffe brachte.

Semai: Goldkind. Küstenkind,
Beute. In der Einsamkeit
wurde Deine Seele tief. Hör
doch die Stimme Deines Vaters!
Er ruft Dich bei deinem Namen.

2 Kommentare:

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

MEIN SCHUTZENGEL

Mein Schutzengel
ermöglicht mir so manches.
So trägt er dem Christus
über eine Engelleiter
weiter und höher und immer
weiter
meine Bitten hin.
Der Christus nimmt sie auf
und ermöglich mir den
himmlisch
ersehnten Neubeginn.
Was bin ich ihm dankbar,
dem Christusmittler
an meiner Seite,
dem Schutzengel,
mit einem großen aber
mir unbekannten Namen.


(Michael Heinen-Anders)

Anonym hat gesagt…

Meine Güte!

Ist das von Dir, von Ihnen, Herr van der Meulen? Es berührt mich so tief.
Gerade wieder viel dikutiert und gedacht über Menschen. Mit Migrationshintergrund. Anlaß war eine üble Rede eines Abgeordneten, auf der Tube, der alle sozialen Mißstände auf die "Einwanderer" schiebt. Und ein primitiver Artikel, Voksverhetzung, beim Kopp-Verlag.
Lieben Gruß
m.butty