08.04.2011

Bernard Lievegoed College. Über soziale Trampolins und mutige Sprünge

Letzte Woche hatte ich in Driebergen in den Niederlanden ein Gespräch mit Mitarbeitern des Bernard Lievegoed College for liberal Arts. Die Unterhaltung fiel mit der Tatsache zusammen, dass, wie Clarine van Lookeren Campagne es ausdrückte, der Todestag Lievegoeds (12. Dezember 1992) im Laufe des Jahres 2011, „seinen ersten Mondknoten erreichen wird“. Und weil Mondknoten immer Umschlags- und Wendepunkte sind, bewegte uns die Frage: Wie steht es heute mit den Impulsen Lievegoeds?

Nun kann man sich auf zwei Arten und Weisen mit dieser Frage beschäftigen. Erstens kann man auf die vielen Initiativen schauen, die Bernard Lievegoed ergriffen und initiiert hat. Wo stehen im Moment die Lievegoed'schen Institute, wie Zonnehuizen (eine heilpädagogische Einrichtung), das NPI (ein Büro für Organisationsentwicklung) und die Vrije Hogeschool (heute Bernard Lievegoed College for liberal Arts)?

Und zweitens kann man auf die innere Dynamik oder die „immanente“ Entfaltung seines Impulses blicken. Dabei geht es eher um Fragen, die weit über die genannten Institute hinaus gehen und generell die Lage unserer Zeit betreffen. In meiner Zusammenfassung des Gespräches von letzter Woche werde ich diesen zweiten Weg gehen. Es wird sich dann zeigen, dass die Willensrichtung von Bernard Lievegoed erstaunlich aktuell ist.

Lievegoed war ein Mensch, der aus kräftigen Intuitionen heraus arbeitete. Manchmal hatte er Mühe damit, seine Intuitionen rückwirkend über die Inspiration, die Imagination und die (wissenschaftlichen) Begrifflichkeiten so zu benennen, dass sie für das heutige Denken zugänglich und verständlich wurden. Aus diesem Grund war und ist seine Arbeit verletzbar. Manchmal muss man (zum Beispiel in seinen Büchern) durch eine Menge Unterholz kriechen, um die Lichtung im Wald zu entdecken.

Allerdings führt dieser Umstand dazu, dass man gezwungen wird, die eigenen Kräfte zur Aufnahme der Intuitionen zu stärken. Die Hindernisse in den Lievegoed'schen Darstellungen, vorausgesetzt, dass man ihnen souverän entgegen tritt, sind eine Hilfe, die Sphäre der lichtenden Intuitionen zu erreichen. Anders gesagt: Lievegoeds Stärke lag nicht darin, bestimmte Inhalte sprachlich unmittelbar zu vermitteln, sondern darin, auf einen Weg hinzuweisen – er sprach diesbezüglich vom „Saturnweg“ – den jeder Mensch eigenständig gehen kann.

Ich würde sagen, dass seine Impulse von drei großen Intuitionen geprägt worden sind. Die erste ist, dass es in der heutigen Zeit vor allem darum geht, die schlummernden „Missionen“ in den Biographien der Einzelnen frei zu setzen. Ausbildung, Fortbildung, Schulung, ja überhaupt das Leben als solches, müsste darauf gerichtet sein, die Menschen als freie Initiatoren zu erwecken.

Die zweite Intuition bezieht sich auf das soziale Leben. Nur im offenen und wohlwollenden Zusammenleben und Zusammenarbeiten der Menschen werden die geistigen Quellen des Einzelnen gefunden und geöffnet. „Statt die anderen klein zu machen, können wir lernen, einander größer zu sehen“, meinte Lievegoed in seinem Buch „Über die Rettung der Seele“. An dieser Stelle ist auch eine Notiz von Rudolf Steiner sehr hilfreich: „[...] auch die Furcht darf davon nicht abhalten, dass man in den Abgrund des Individuellen fällt, denn man steigt aus diesem Abgrund im Verein mit vielen Geistern auf und erlebt sich mit ihnen in Verwandtschaft; dadurch wird man aus der geistigen Welt geboren [...]“.

Die dritte Intuition hängt damit zusammen, dass – ich sage es in meinen Worten – das heutige Bestreben soziale Netze zu bilden, erweitert werden könnte durch die Einsicht, dass die Netze sich in Trampolins verwandeln können. Der Sturz in der individuellen Abgrund macht eine Kraft frei, die im Grunde genommen den befreienden Sprung nach oben ermöglicht. Diese Erkenntnis, so meine Lievegoed, müsste allen therapeutischen, pädagogischen, sozialen und sonstigen Bestrebungen eine neue Richtung geben.

Entscheidend ist, wie die „Institutionen“ sich auf diese Bewegung-der-Initiation einstellen. Mir scheint es so zu sein, dass gerade diese Frage im Moment am meisten brennt und lodert. Wie kann sich zum Beispiel ein Kindergarten oder eine Schule diesbezüglich „fähig“ machen? Welche Formen oder „Rituale“ werden gebraucht, um gemeinsam ein soziales Trampolin zu bilden?

Der erste Mondknoten (18 Jahre, 7 Monate und knapp 10 Tage nach der Geburt) hat einen stürmischen Charakter. Er ist geprägt von dem adoleszenten Verlangen, so richtig vorwärts zu gehen und zuzugreifen, auch wenn die nötigen Erkenntnisse noch fehlen. Am Ende des Gespräches in Driebergen wurde deutlich, dass alle einzelnen Mitarbeiter des College, aber auch das Team als Ganzes, diesbezüglich vor einer Schwelle stehen, die nur mit Mut überschritten werden kann.

Das theoretische Wissen, dass am Abgrund die Masken fallen und die Selbstverständlichkeiten nicht mehr tragen, fragt um praktische Sprünge nach oben. Es war berührend zu bemerken, dass die Bereitschaft sich in unsichere Bereiche zu begeben, dorthin wo alles schwebt, stark vorhanden ist. Das Bernard Lievegoed College wird unter der Leitung von Jeroen Lutters seinen Weg finden

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Du bist wieder da! Schön... Nitta aus Berlin

Anonym hat gesagt…

Schlummernde Missionen im Einzelnen frei zu setzen,Raum geben zum Vertrauen in sich selbst, zur Zukunft..
Statt klein, den Anderen größer zu sehen,, Achtung, Würde...einander verwandt fühlen, frei in der Begegnug, Empathie entwickeln...Ich und Du, durch die Pforte ein Erleben von..
Soziale Netze bilden,denn der Absturz in das Individuelle macht eine Kraft frei... dahinter, hindurch, wie in einer Enge, Krise, da kommt was, weit, Kraft schenkend, beflülgelnd, viel Wind unter den Flügeln, um weiter machen zu können...
Jeder braucht das. Wir alle.
Dann könnem auch die Gedanken zur Lösung, Heilung... kommen.
Wie lange lese ich diesen Blog schon?
Es ist gut zu erleben das da jemand etwas schreibt, was auch mich und andere angeht, dann wird es leichter, dann kommt Wind unter die Flügel..und es erscheint als bekannt, diese verwandt.
Herzlich, Birgit

Anonym hat gesagt…

Lieber Jelle van der Meulen,

mich beschäftigt schon länger die Frage, wie WWW daran beitragen könnte, dass eine Kultur des Herzens entsteht. Es würde mich interessieren, was Sie dazu zu sagen haben... P. Zl.

Ernst Seler hat gesagt…

Danke für den Hinweis auf Lievegoed, mit dem ich mich sehr verbunden fühle.
Kam so zu dem Institut
http://www.bli-hamburg.de/
sehe dort ein aktives Symbol, nachdem der EGMR das christliche Symbol zu einem passiven Symbol erklärte.
Ich denke, das www ermöglichte eine Herzensbildung, die umfassend ist.
Werde die website näher anschauen, denn sicherlich gibt es Menschen, welche die absurde politische Gegenwart und das individuelle Schicksal erhellen können. Leider traf ich bisher nur eine Person, an der ich das Wesen der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners authentisch erlebte: Kurt Theodor Willmann. Das Erbe Steiners macht nach 150 Jahren seines Lebens einen inneren Sprung... ... wir sind verbunden, ob wir es wollen oder nicht....

Michael Heinen-Anders hat gesagt…

Lieber Jelle,

auch mich erfasst immer wieder die Frage, wie man in seinen höchstpersönlichen Arbeitszusammenhängen eine gegenseitige wohlwollende Grundstimmung etabliert, denn erst diese schafft - nach dem Modell der "selffulfilling prophecies"" - eine Atmosphäre in der ein - auch nach außen-, gedeihliches Wirken möglich ist.

Herzlich,

Michael Heinen-Anders

Sophie Pannitschka hat gesagt…

Aus: Bernard Lievegoed: Über die Rettung der Seele.
Kap.: Die Aufgabe Manus in der Zukunft. S. 110/111.

„Was kann nun jeder von uns in dieser Situation beitragen? Jeder von uns kann das tun, was in seinem Karma beschlossen liegt, nicht mehr, aber hoffentlich auch nicht weniger. Und um dies zielbewusst, von einer starken inneren Sicherheit erfüllt, tun zu können, ist es für jeden einzelnen von uns wichtig, zu wissen, zu welcher Geistesströmung er gehört.“

„In welcher Strömung wir auch stehen – wir werden große Schwierigkeiten überwinden müssen. Und die bedeutendste ist wohl die, dass wir lernen müssen, zusammenzuarbeiten. Das gilt vor allem für die verschiedenen anthroposophischen Einrichtungen, die in dieser Hinsicht ja nicht gerade hervorragen. Einander mit Opferbereitschaft gegenübertreten und keine Angst davor haben, dass der andere einem die Butter vom Brot nehmen will – das geht nur, wenn man das große Ganze im Auge hat, wenn man weiß, welches der rote Faden ist, der sich durch alle anthroposophische Arbeit zieht. Rudolf Steiner hat uns große Bilder geschenkt, wie zum Beispiel das vom Übergang der Erde in den künftigen Jupiter. Wir werden immer stärker den Mut entwickeln müssen, von diesen großen Bildern ausgehen zu denken, und vor allem auch den Mut, uns gegenseitig im Licht dieser großen Bilder zu sehen. Statt die anderen kleiner zu machen, können wir lernen, einander größer zu sehen.“

Herzlich, sophie

Anonym hat gesagt…

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