Über Pepe & Pablo & Freundschaft & Normalität & Witze & Buenos Aires
Der Händler Pablo ist 54 Jahre alt, schlank & lässig, redet mit seinem ganzen Körper, und nennt mich ständig „der Holländer“. Dreimal frage ich ihn, was seine Geschäfte ausmachen, und dreimal gibt er mir keine Antwort. „Ich bin arm“, sagt er lachend. Er lebt in Barcelona, kommt aber aus Buenos Aires und versteht sich eindeutig als Argentinier. Und das bedeutet, dass er über – manchmal sehr krasse – Witze kommuniziert. Seine Welt der Worte ist die Welt der Witze.
Pablo ist gekommen um seinen kranken Freund zu besuchen. Pepe sitzt in einem Rollstuhl und schaut mit fast kindlichen Augen auf Pablo. Mit seiner rechten Hand hält er seinen linken Arm fest, der gelähmt auf seinem Schoß liegt. Der Arm soll nicht wegrutschen, weil das richtig weh tut. Seine Augen aber folgen seinem Freund Pablo, der sich im Zimmer hin und her bewegt. Auf mich wirkt Pablo so, als ob er hier im Pflegeheim ständig hauptsächlich damit beschäftigt ist, einen Tanz zu unterdrücken.
Tänze & Witze. Energie. Bewegung. Und: Vorsätze umsetzen. Als Pablo lachend sagt: „Pepe, heute Abend trinken wir einen Rotwein“, ist damit die Zukunft definiert. Heute Abend ist schon da, und wird als Gegenwart in Anspruch genommen. Die Zukunft kommt nicht beliebig auf uns zu und beinhaltet keine Rätsel, sondern wird gestaltet. Heute Abend, meint Pablo, wird es eine Party geben.
Und Pepe ist damit einverstanden. Auch wenn er seit dem Gehirnschlag nicht mehr gehen kann und die Gedanken ein bisschen langsamer zu ihm kommen, bleibt seine Hauptregel nach wie vor: leben heißt Vorsätze umzusetzen. Und gerade darunter hat Pepe die letzten Monate, erst im Krankenhaus und dann im Pflegeheim, gelitten: er durfte keine Vorsätze mehr haben. (So ist das mit kranken Menschen – die müssen immer warten, bis zum „geht nicht mehr“.) Heute darf Pepe aber für zwei Tage nach Hause. Und Pablo ist gekommen, um ihn daran zu erinnern, dass ein Leben ohne Vorsätze gar kein Leben ist.
Pepe ist aber jetzt von anderen abhängig. Er kann nicht mehr das machen was er will, nicht einmal seinen linken Arm kann er heben. (Und das will er noch immer.) Zwei Menschen werden gebraucht um ihn mit seinem Rollstuhl in das Taxi zu laden, das ihn nach Hause fährt. Er sitzt nur und guckt mit seinen großen braunen Augen zu. Und er hält ängstlich seinen linken Arm fest.
Seine Abhängigkeit tut ihm weh. Pepe war alles andere als abhängig. Pepe ging seinen Weg. Immer. Von morgens früh bis abends spät. Er machte mit seinem Auto die Runde um seine Kunden zu besuchen. In Denia. In Valencia. In Benidorm. In Alicante. Und überall hatte er seine Freunde. Seine favorisierten Espresso-Bars. Die Läden in denen er wöchentlich seine Lotterie-Billette kaufte. Sein Imperium und sein Aktionsradius waren groß.
(Einmal hat Pepe mich zu einem Stierkampf in Valencia eingeladen. Ich erinnere mich, wie er emotional an den tödlichen Ereignissen teilnahm. Er liebte den Stierkampf, denn der Stierkampf ist ein Ereignis, ein Geschehen, ein Bruch in der Langeweile, eine Katharsis.)
Später trinke ich mit Pablo in seinem Hotel ein Glas Wein. Ich frage ihn, warum er Pepe mag. Und wie die Freundschaft zwischen ihm und Pepe entstanden ist. Erst will Pablo nicht viel sagen – offensichtlich mag er meine Fragen nicht. Fragen stellen tut man nicht. Ironisch schaut er auf mich, macht Witze über dies und jenes („Mit dir hier zu sitzen kostet viel Geld. Ich komme gerne mal nach Deutschland. Dann kannst du bezahlen.“) und versucht für sich auszumachen, was er von dem Holländer halten soll.
Dann aber erzählt er doch. „Ich bin Pepe vor dreißig Jahren in Buenos Aires begegnet. Ich war ein junger Mann und hatte keine blasse Ahnung vom Leben. Von Pepe habe ich gelernt, dass man sein Leben gestalten kann. Leben heißt, sich nicht durch die Tentakel der Normalität treiben zu lassen. Leben heißt, gerade nicht auf Sicherheiten zu setzten. Leben heißt, ein Risiko einzugehen. Leben heißt, jedes Mal einen neuen Anfang zu machen.“
„Weißt du“, sagt Pablo, „es gibt zwei Arten von Menschen. Es gibt normale Menschen, die meinen, dass man sein Leben planen kann. Dass man sein Leben im Griff haben kann. Dass die richtige Ordnung der Dinge daraus besteht, dass man ein Haus, eine Frau und ein regelmäßiges Einkommen hat. Dass man solide lebt. Weitaus die meisten Menschen sind normal.“
„Und dann gibt es die Menschen, die nicht normal sind. Sie sind irgendwie daneben, ja, neben der Normalität. Sie sind die Ausnahme. Diese Menschen brennen für das Leben. Sie versuchen immer wieder ihren Sehnsüchten nach zu gehen. So ein Mensch ist Pepe.“ Und dann, nach einer Stille, sagt Pablo: „Weißt du, Pepe ist jetzt abhängig geworden - von normalen Menschen. Und das ist schrecklich. Er wird nicht mehr lange leben. Ich finde, dass wir alles tun müssen, um ihn in der letzten Phase seines Lebens gegen die Tentakel der Normalität zu schützen.“
Als wir später wieder bei Pepe in seiner Wohnung sind, klingt Tango-Musik. Er liegt still auf seinem Sofa und sagt nichts. Er scheint über die Musik in seinen Erinnerungen gelandet zu sein. Ich habe den Eindruck, dass er wieder zurück in Buenos Aires ist.
Mit Dank an Sophie Pannitschka
3 Kommentare:
Lieber Jelle,
Es ist ein Fest solche Bloggereien, wie auch deine, lesen und folgen zu dürfen! Diese erinnert mich ein bisschen an Saul Bellow, aber vielleicht ist das keine gute Assoziation. Jedenfalls bewegt und freut es bei mir im Innern, wie das mir auch bei Bellow passieren kann.
Herzlich,
Michel
lieber jelle,
fern ab von vielem was ich vermisse ist dein blog wie nahrung und läßt sich mit viel freude, guten gedanken und anregungen weitergeben.
bin gespannt wann ich köln wiedersehe und vielleicht einen holländer treffe.
danke,bb
Im Rheinland gibt es einen alten Spruch: "Wenn du den lieben Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen."
Grüsse Barbara 1
Kommentar veröffentlichen