08.09.2008

Die Art von Johannes Stüttgen. Und über eine Filzbatterie

Johannes Stüttgen sieht gut aus. Die runde Hornbrille, der flotte Haarschnitt, die perfekt passende lederne Jacke, die Bluejeans und die weißen Joggingschuhe bilden ein fast makelloses outfit. Nur mit den Schuhen ist etwas los. Obwohl Johannes Stüttgen alles andere als hervorragend lang ist, wirken die Schuhe so, als ob sie ganz - ganz - ganz unten wären.

Wir sind mit einer Truppe von zwanzig Erzieherinnen und Freunden in Krefeld. Im Kaiser-Wilhelm-Museum befinden sich zwei Räume, die von Joseph Beuys eingerichtet wurden. Für Johannes sind die beiden Räume, die direkt neben einander liegen und klar eine einheitlich-doppelte Wirklichkeit ausmachen, „eine richtige Schatzkammer, der wichtigste Schulungsraum in Nordrhein-Westfalen“. Es ist Johannes anzusehen, dass er hier sehr gerne verweilt.

Johannes redet. Reden ist sein Ding. Und er geht. Gehen ist genauso sein Ding. Und: er redet wie er geht. Sein Reden und sein Gehen werden von einer Instanz gleichzeitig angeregt, so dass man spürt: irgendwo in Johannes gibt es eine Quelle der Aufmerksamkeit, die beides umfasst: Gehen und Sprechen.

Diese Quelle liegt nicht in seinem Kopf, sondern in seinem Brustbereich. Aus dieser Quelle steigt irgendwie die Bewegung der Worte nach oben und gleichzeitig die Bewegung der Schritte nach unten. Und seltsam: erst wenn ich mich innerlich mit seinen Schritten mitbewege, so, als ob ich sie in mir zulasse und er meine innere „Filzbatterie“ berührt, verstehe ich seine Worte. Ich muss mich also vor allem auf seine Joggingschuhe orientieren.

Filzbatterie. Im zweiten Raum befindet sich eine streng organisierte „Stapelung“ von quadratischen Filzdecken, abgedeckt von schweren Kupfer- und Eisenplatten. Die „Stapelung“ ist etwa einen Meter hoch, einen Meter breit und sechs Meter lang. Das Ganze wirkt wie eine Partie Rohmaterial in eine Fabrikhalle, die darauf wartet verarbeitet zu werden. Wenn man der „Stapelung“ folgt, endet man bei einem Kanichen-Zaun-Gitter. Dahinter befinden sich die Regale des „verlassenen Labors eines Wissenschaftlers“.

Die Wirkung ist klar: ohne die Kraft der Batterie würde man sich in der Vielfältigkeit der Gegenstände im Labor verlieren. Oder anders gesagt: ohne die kompakte und chaotische Wärme des Filzes sollte man besser nicht in die vielfältige Kälte der „verlassenen“ Wissenschaft einsteigen.

Johannes steht neben der Batterie. Er schweigt und schaut nach innen. Es ist, als ob er zurückkehrt zu seiner Quelle im Brustbereich und lauscht. Gleichzeitig aber schaut er durch seine kecke Hornbrille ein bisschen dunkel auf uns. Wir sitzen an der Wand, auf wackeligen portable chairs. Und wir schweigen stumm. Irgendwie hängt etwas ungreifbar Unbequemes in der Luft. Der Blick von Johannes rollt „rundkugelig“ wie zwei innig Hand-in-Hand tanzende schwarze Murmeln durch den Raum. „Ihr dürft mich ruhig unterbrechen“, sagt er dann. Das tun wir aber nicht. Weil uns die Worte fehlen. (Wenn man in eine Filzbatterie eingetaucht ist, spricht man nicht.)

Und dann,

dann dreht Johannes sich langsam um, er legt seine rechte Hand auf die Batterie, berührt bei seiner Drehung kurz eine Kupferplatte - fast wie eine Amsel die kurz landet und sofort wieder aufsteigt - bringt dann Schwung in seine Bewegung, geht mit rhythmischen Schritten an der Filzstapelung entlang und auf die Gitter zu. Dort bleibt er stehen und sagt: „Auch wenn ihr es nicht merkt, die Filzbatterie wirkt in uns.“

Und ich verstehe. Das heißt: ich verstehe, dass die Filzbatterie wirkt. Und ich verstehe, dass die Filzbatterie im Gehen von Johannes wirkt. Und ich verstehe, dass sein Gehen ganz und gar nicht außerhalb von mir geschieht. Er geht in mir, wenn ich will. Sein Gehen bewegt sich in mir.

Und damit auch sein Denken. Wie denkt Johannes Stüttgen? Klar ist, dass ihm viele Begriffe zur Verfügung stehen. Seine Denk-Regale sind gut gefüllt. Und manchmal wirken seine Begriffe auch ein bisschen wie ready mades, ich meine portable chairs, die er einfach nimmt und hinstellt. Die Wahl die er dabei immer wieder trifft, ist nicht nur treffend, sondern auch sehr sorgfältig. Johannes hat eine unsichtbare Meisterhand.

Schön ist, dass manchmal auf der Stelle ganz neue Gedanken entstehen, denen Johannes sofort einen Platz in seinen Regalen gibt.

Mich trifft aber vor allem, dass die Wahl ein Aspekt seiner Bewegung ist. Auch wenn Johannes redet, schweigt er, so, als ob es in ihm einen zweiten Raum gäbe, in dem er sich ständig schweigend-wach bewegt, genauso, wie er sich rhythmisch langsam-schnell und immer wieder sich wendend im äußeren Raum bewegt, im Raum seines Meisters also. Auf mich wirkt sein Denken so, als ob er im Vorbeigehen in seine Regale greift. Er trifft seine Wahl en passant.

Wenn er redet, schweigen die Menschen oft. Weil sie verwundert darüber sind, dass sie in eine Bewegung aufgenommen werden.

Mit Dank an Sophie Pannitschka

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Schön!

Joachim hat gesagt…

Mehr wollte ich auch nicht sagen
Danke und Schön !

Anonym hat gesagt…

Eher oberflächliche Wahrnehmungen, die hier wort-geschickt geschildert werden.Macht (oberflächlich) Eindruck. Ist "innen" aber hohl. Dum(m)pf.

Was wirkt wohl in J.Stüttgen? Beuys - natürlich!
Stüttgen ist der lebende Beweis dafür, dass es sich augenblicklich lohnt, (über) den Tod (z.B. von Beuys) zu denken.
Nicht nachzudenken.
Zu denken.

Das wenn Sie mal tun würden, bevor Sie soviel reden/schreiben, würde gut tun. Ihnen. Dann hätten Sie irgendwann einmal vielleicht sogar was zu sagen.
Was zu sagen gehabt.