23.09.2007

Der Kölner Dom hat einen Ausweg gefunden

Immer wenn ich durch die Tür des Kölner Doms gehe, habe ich das Gefühl, dass ich mein Haupt neigen soll. Der Eingangsbereich ist so gestaltet, dass ich für einen Moment vergesse, dass das Gebäude weit weit weit über mich hinausragt. Ich fühle mich in die Enge getrieben, als ob mir erst klar gemacht werden soll, dass ich ganz ganz ganz klein bin. Auch heute sitzt neben der Tür ein Bettler. Und unwillkürlich kommt in mir die alte alte alte Frage wieder hoch: Bin ich in geistigen Angelegenheiten nicht eigentlich ein Bettler?

Wenn ich dann weiter hineingehe und im „Vorhof“ stehe, komme ich mir wieder „normal“ vor. Ich bin ja ein Besucher, wie Hunderte andere Besucher auch. Das Einzige was mich noch davon zurückhält, einfach zügig weiterzugehen, ist die Dunkelheit. Der Vorhof erlaubt mir zwar mein Haupt wieder zu heben, umschließt mich aber mit einem Halbdunkel, das eine gewisse Vorsicht erzeugt. Richtig losgehen, geht noch nicht. Das Halbdunkel ist irgendwie genau passend: Ich sehe schon den Flur, auf dem ich gehen kann – dass er aber aus festen quadratischen Fliesen besteht, bleibt verborgen. Der Vorhof macht also ein klares Statement: Um hier zu gehen braucht man Vertrauen.

Nach zehn Schritten öffnet sich auf einmal die Kathedrale in ihrer gewaltigen Größe. Weit über mich hinaus bilden die riesigen Säulen, Wände und Gewölbe einen Innenraum – wie eine statische Explosion. Ich fühle mich wie verdoppelt: Hier bin ich ganz unten, aber ich bin genauso da oben. Wenn ich mein Haupt in meinen Nacken lege und empor schaue, scheint es mir, als ob ich mir von da oben entgegenkomme. In der Vertikalität scheint es eine Illusion zu sein, dass ich hier unten stehe und nach oben schaue. Die Welt dreht sich um und ich schaue auf mich von oben nach unten. Und der Gedanke, dass ich ein Besucher bin, wie Hunderte andere Besucher auch, verschwindet. Nein, gerade ich bin gemeint. Ich bin DER Besucher. Und ich soll in meinem Leben etwas mit der Tatsache machen, dass ich DER Besucher bin.

Dann schaue ich horizontal in die Ferne. Ganz weit weit weit weg an der anderen Seite der Kathedrale, sehe ich einen glänzenden Punkt aus Gold. Es ist mir schon lange bekannt, dass es sich dabei um den goldenen Schrein handelt, indem die Gebeine der drei Könige (eigentlich Magier) aufbewahrt werden. Der goldene Schrein macht den „historischen Inhalt“ des Doms aus; ohne diesen abgeschlossenen Schrein gäbe es keinen Innenraum. Und sofort möchte ich dahin, um nochmals nochmals nochmals das Gold zu sehen und mir innerlich die Gebeine vorzustellen. (So ist das: Der Inhalt des strahlenden Schreins ist tot tot tot.)

In der Mitte der Kathedrale angekommen, schaue ich nach rechts zu dem großen Südportal. Ich blicke auf und sehe das neue schillernde Glasfenster, mehr als hundert Quadratmeter groß. Ich habe in den letzten Wochen viel in den Kölner Zeitungen über das Glasfenster gelesen. Und ich bin mit den meisten Kölnern einverstanden: Das neue Fenster ist großartig. Und ich bin mit meinem Freund Sebastian Gronbach einverstanden, dass der Dom mit dem neuen Fenster „im 21. Jahrhundert angekommen“ ist. (Lest bitte Gronbachs Kolumne über das Fenster: www.info3.de/wordpress/?p=119 ).

Was ist im Fenster zu sehen? Ich meine, das neue Fenster bietet einen Ausweg aus dem Innenraum des Doms. Oder anders gesagt: Die Tausenden kleinen farbigen Quadrate holen den großen Außenraum-da-draußen in den Innenraum des Doms rein und zwar ohne mit dem großen Außenraum-da-draußen den Innenraum bestimmen zu wollen. Auf einmal hat der Dom eine Öffnung gefunden, ein nicht-bildliches Bild (in der Kunst spricht man von „abstrakt“), das so intensiv mit dem großen Singen-da-draußen mit singt, so dass es klar und frei im Innenraum hörbar wird.
(Mit Dank an Birgitt Kähler)

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