09.01.2009

Intuitive Aufgeschlossenheit. Über Nähe und Sprache

Eine Ahnung davon, dass es zwischen mir und anderen Menschen so etwas wie Nähe geben könnte, bekam ich erst, als ich neun Jahre alt war. Das Wort und damit auch der Begriff „Nähe“ stand mir als Neunjähriger allerdings nicht zur Verfügung. So weit ich mich erinnere, gab es in der Sprache des Alltags in meiner direkten Umgebung so etwas wie „Nähe“ nicht. Es gab Brot & Schule & Park & Gott & Geld & Großvater und auch Krieg & Frieden – das Wort Nähe aber kam nicht vor.

Was sind die entscheidenden Erscheinungen-des-Lebens ohne Namen, ohne Worte, ohne Begriffe? Sie zeigen sich als undifferenzierte Stimmungen & Ahnungen & Sehnsüchte, die sich wie nicht greifbare Wolken über nicht erkannten Horizonten ausdehnen. Und wenn man sich in die Ausdehnung mitnehmen lässt, verliert man sich, hört man irgendwie auf zu sein. Man schläft in das Ungeheure & Geistige & Maßlose & Erhabene hinein.

Ein Gespür für Nähe war damals in mir verschwommen & weit. Manchmal war das Gespür für Nähe so verschwommen, dass ich meinte, es ginge um einen Schmerz; manchmal war es so weit, dass es unfassbar dünn wurde und verschwand; aber manchmal auch – zum Beispiel wenn ich Musik hörte – zog das Gespür für Nähe sich in mir zusammen und wurde dicht. In solchen Momenten war die Nähe wie eine Präsenz ohne einen physischen Gegenstand. „Etwas“ war da, ohne wirklich da zu sein.

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Über Nähe & Freundschaft & Beziehung & Liebe & Hass zu schreiben geht überhaupt nicht, ohne einen Blick auf die Sprache zu werfen. Der Grund dafür liegt darin, dass die gesuchten Bedeutungen über Horizonte hinausgehen. Eine gewisse Erweiterung des Begriffes „Sprache“ ist nötig, um zu verstehen, dass die Bedeutungen letztendlich nicht in meinen Worte zu finden sind.

Ich bin diesbezüglich auf das Verstehen-wollen der Leser angewiesen. Der englische Anthroposoph Owen Barfield demonstriert in seinem Buch Poetic Diction. A study in meaning, dass die Funktion der Sprache über das Vermitteln von Bedeutung hinaus geht. In der Sprache und mit der Sprache und durch die Sprache und über die Sprache hinaus, so Barfield, werden ständig neue Bedeutungen kreiert.

Barfield betrachtet die Sprache – in meinen Worten– als ein unerschöpfliches Reservoir von Klängen, Rhythmen & Bildern, die über die Welt-der-Gegenstände hinaus eine intime, bewegliche, lockende, erotische Beziehung enthält, zu dem, was er „Intuition“ nennt.

Es ist Intuition und nur Intuition durch die der Mensch Bedeutungen “begreift”. Einen Begriff zu begreifen ist ein Akt von intuitiver Aufgeschlossenheit. Barfield: “[…] meaning itself can never be conveyed from one person to another; words are not bottles; every individual must intuit meaning for himself, and the function of the poetic is to mediate such intuition by suitable suggestion”. (Owen Barfield, Poetic Diction. A study in meaning, Faber and Faber, 1928. Seite 133)

Suitable suggestion, also: passende Suggestion... Ein passendes Bild entstehen zu lassen... Das ist, was ich versuche zu tun: Bedeutungen, die Horizonte übersteigen zu suggerieren. Alle großen & weiten & unergründlichen Begriffe die im Spielfeld der Freundschaft auftauchen – Nähe, Vertrauen, Ehrlichkeit, Takt, Verbundenheit, Freiheit, Liebe & Hass – lassen sich ganz und gar nicht definitiv in Worte fassen.

Mit Dank an Sophie Pannitschka

10 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lieber Jelle,
ich danke dir sehr für diese Zeilen. Und möchte gern diese Worte von R.M. Rilke dazu schreiben, die mich seit einiger Zeit immer dann begleiten, wenn ich wieder mal nicht die richtigen Worte finde.

>...Die Dinge sind alle nicht so fassbar und sagbar, als man uns meistens glauben machen möchte; die meisten Ereignisse sind unsagbar, vollziehen sich in einem Raum, den nie ein Wort betreten hat... < R.M.Rilke

Liebe Grüße, Birgitt

Anonym hat gesagt…

"Was sind die entscheidenden Erscheinungen-des-Lebens ohne Namen, ohne Worte, ohne Begriffe? Sie zeigen sich als undifferenzierte Stimmungen & Ahnungen & Sehnsüchte, die sich wie nicht greifbare Wolken über nicht erkannten Horizonten ausdehnen."

Ja, lassen sich Wolken denn jemals "greifen"?
Nein, Wolken lassen sich nicht ergreifen, packen oder gar konkretisieren - und Sprache auch nicht. Ich finde den Vergleich eigentlich sehr passend. Sprache – und was dahinter als „Erscheinungen-des-Lebens“ steht, ob mit oder ohne Begriff - wie Wolkenformationen...
Sprache muss immer wieder neu erstehen, entstehen, sich bilden, anpassen, kreativ sein….
Sprache lebt mit den Menschen mit und entwickelt sich – das kann man anhand sprachwissenschaftlicher Studien sofort erkennen. Aber wir können immer nur zurück schauen. Viele Worte und Begriffe, die uns heute geläufig sind, „gab“ es vor 100 Jahren noch überhaupt nicht. Waren sie damals als „undifferenzierte Stimmungen & Ahnungen & Sehnsüchte“ erlebbar? Entsteht daraus Sprache? Lässt sich ein Blick „nach vorne“ wagen?

Vielleicht müssen wir einmal darüber nachdenken, welche neuen Begriffe, Worte, Namen und Zeichen für eine Kultur des Herzens gebraucht werden – und willentlich von uns kreiert werden könnten. Denn menschliche Sprache ist ja immer ein Ausdruck von etwas menschlich erlebtem oder erstrebtem. Was in uns nicht erfahrbar oder zu erspüren ist, ist wohl auch kaum ausdrückbar – was sich aber an neuen „Stimmungen & Ahnungen & Sehnsüchten“ und Empfindungen erleben und erahnen lässt, dafür entsteht eine „neue Sprache“ – und dieser Horizont scheint mir noch weit und blau zu sein!
Macht das Sinn?
Herzlich, Ch.

Anonym hat gesagt…

Sind Wörter und Begriffe nicht einfach nur Wörter und Begriffe? Egal, ob sie neu oder 100 Jahre alt sind? In der Sprache dagegen zeigt sich der Mensch. Die Sprache ist ein Ausdruck. Aber dieser Ausdruck reicht manchmal nicht aus, damit der Mensch "verstanden" oder besser: "gesehen" wird. Ich habe gerade erlebt, dass mir jemand etwas gesagt hat, was mich zutiefst verletzt hat. Wir können jetzt darüber reden und darüber streiten, ob der Andere gesagt hat, was ich gehört habe. Aber dann bleiben wir im Streit stecken und meine Verletzung bleibt für den Anderen verborgen.
Auch mit dem Wort Liebe kann ich nicht ausreichend das ausdrücken, was ich in mir erlebe.
Ich glaube, viel wichtiger als neue Wörter und Begriffe ist ein neuer oder anderer oder überhaupt ein Zugang zu finden zueinander, d.h. sich echt einlassen auf die Not oder die Betroffenheit oder die Liebe des Anderen und auch auf meine Not und Betroffenheit und Liebe.
Herzlichst, B.

Anonym hat gesagt…

...und vielleicht ändert sich dann auch die Sprache oder besser: das Verstehen einer Sprache.(?)B.

Anonym hat gesagt…

Drängt,strebt nicht das Wort, die Sprache über sich hinaus und will Gebärde werden? Gebärde meine ich hier in einem umfassenden Sinn, in jedem Stein, jeder Blume, jedem Baum, jedem Tier , jedem Menschen leben Gebärden, lebt Gestaltungswille.
Und umgekehrt auch: Jede Gebärde strebt hin zu einer Verdichtung, zum Klang, zum Ton, zum Wort.
Ich erlebe zwei Bewegungen aufeinander zu, wobei das Wort "Bewegung" gerade auch wieder nur einen Weg beschreiben kann als "Wortgebärde". Ich meine hier große Bewegungen, Strömungen, von vielen Menschen. Ich (als Angehöriger einer Bewegung) gehe aus vom Wort und strebe hin zur Eurhythmie- ohne Eurhytmiestudium. Das sagt nicht, dass es keine Eurhytmisten zu geben braucht. Gerade nicht. Ohne sie hätte ich keine Ahnung davon, wo ich hinstrebe.
Liebe Grüße von Ruthild aus der Mühle
P.S-Gerade flogen eine Taube und eine Elster auf unser Vogelhäuschen zu.

Anonym hat gesagt…

Hier ein gedicht von Christian Morgenstern:

Das Wörtlein

Kürzlich kam ein Wort zu mir,
staubig wie ein Wedel,
wirr das Haar , das Auge stier,
doch von Bildung edel.

Als ich, wie es hiesse, frug,
sprach es leise "Herzlich."
Und aus seinem Munde schlug
eine Lache schmerzlich.

Wertlos ward ich ganz und gar,
riefs, ein Spiel der Spiele,
Modewort mit Haut und Haar,
Kaviar für viele.

Doch ich wusch's und bot ihm Wein,
gab ihm wieder Würde,
und belud ein Brieflein fein
mit der leichten Bürde.

Schlafend hats die ganze Nacht
weit weg reisen müssen.
Als es morgens aufgewacht,
kam ein Mund - es - küssen.

Herzlich Werner

Nicole hat gesagt…

(15.-21.1.09
Lieber Jelle,
das hier passte bisher nicht. Jetzt habe ich entschieden, es hier abzulegen. - Eine Idee für diesen Blog, dass es eine Ebene des Gesprächs und eine der Nebenwege geben könnte? So entsteht ein komplexer Textkörper unter dem Schild Deiner Wirtschaft...)


Teil I

Mich beschäftigt der Unterschied zwischen dem Ausdruck "zur Sprache bringen" und "zur Sprache kommen".
Die Richtung der Bewegung oder Kraft ist verschieden in beiden Ausdrücken. Einmal geht sie von jemandem aus und "etwas" ist Objekt dieser Bewegung, das andere Mal von diesem Etwas selbst:

I
Jemand bringt etwas zur Sprache./
Etwas kommt zur Sprache.
Spachlich gesehen ist Etwas das Subjekt, wenn es zur Sprache KOMMT.

II
Jemand bringt etwas zur Sprache./
Etwas kommt zur Sprache.//
Die Mutter bringt das Kind zur Welt./ Das Kind kommt zur Welt.
Das Kind BRAUCHT neun Monate, bis es reif ist. Etwas braucht seine Zeit, bis es reif ist (um zur Sprache zu kommen/gebracht zu werden).

III
Etwas kommt zur Sprache./
Etwas wird zur Sprache gebracht.//
Das Kind kommt zur Welt./
Das Kind wird zur Welt gebracht.
KOMMT das Kind/etwas zur Welt/zur Sprache, dann ist es - sprachlich - Subjekt. Soll es Subjekt sein, wenn der Ausdruck "zur Welt/zur Sprache BRINGEN" Verwendung findet, kommt eine Passivform in den Satz.

IV
Etwas kommt zu ihr./
Etwas wird zu ihr gebracht.//
Das Kind kommt zu ihr./
Das Kind wird zu ihr gebracht.
Ersetze ich Welt/Sprache durch ein Pronomen, dann wird noch deutlcher, wovon/von wem die Bewegung ausgeht.


(Orte und Bewegungen)
Zur Welt/zur Sprache/zu sich/zur Vernunft/zur Besinnung
kommen/bringen/gebracht werden
Zwischen diesen Orten liegen wieder Welten.
Die Sprache hat, behaupte ich, ein Eigenleben. Sie macht etwas mit meinem Denken. Sie ist wie eine, die sich nicht festlegen lassen will, und die zugleich Genauigkeit, größtmögliche, einfordert.

In diesem zu ihr (zur Sprache) Kommen, erlebe ich eine Form des Näherkommens. Diese Art des sich Näherns ruft in mir das Bild einer Person wach, das sich jemandem (in diesem Fall sehe ich eine Königin vor mir) nähert, mit einer gemessenen, feierlichen, ehrerbietigen Haltung sich ihr nähert.

Meine Frage ist, was ist die treibende Kraft dafür, dass etwas zur Sprache kommt bzw. gebracht wird?
Ist es so, wie es mir vorkam, dass Etwas, wenn es von sich aus kommt (zur Sprache), wie Jemand ist, der sich nähert aus eigenem Antrieb, oder weil die Zeit reif ist? Oder wurde es von der Sprache/zur Sprache gerufen? Und ist es so, dass es, wenn es gebracht wird, nicht auf dieselbe Weise erscheint, wie im Kommen? Ist es dann wie träge oder nicht wach oder reif oder bereit, oder Kann es nur kommen, wenn es gebracht wird?

Wenn Sprache wie Welt als (Ankunfts)ort verstanden wird, dann kämen das "zu ihr gekommene" Etwas und das "zu ihr gebrachte" Etwas aus verschiedenen Gebieten(?), Richtungen oder Antrieben zu ihr, aber das kann ich noch nicht denken.


Teil II

Erfahrungen -
Manchmal, wenn ich etwas (unbestimmt Bestimmtes) zur Sprache bringen will, erlebe ich, dass in mir und um die Sprache herum wenig Raum ist. Weil die Sprache etwas transportieren soll, was ich mir zuvor gedacht habe (was also schon Vergangenheit ist?). Sie tut das dann widerwillig und ohne Glanz. Lustlos, wie degradiert zur Bedeutungsträgerin, Vergangenheits-verwalterin. Sie will aber Schöpferin sein, das ist mein Empfinden in diesem Augenblick.

Eine andere Erfahrung ist: ich bin mit einem Anderen in Gegenseitigkeit, und muß nicht zur Sprache bringen, was mir unbestimmt vorschwebt. Dann kann es sein, dass etwas (wie von selbst) zur Sprache kommt.
Die Sprache wird flüssig, geschmeidig, stellt sich mir zur Verfügung, aber nicht, weil ich das will, eher weil ich es nicht verhindere...

Setzt voraus: Vertrauen. Zuerst zu mir (damit ich mein Bedürfnis nach Kontakt mit dem Anderen nicht abwerte. Indem ich denken kann, dass das von mir an den anderen gerichtete Bedürfnis nach "Intimität" im Sinne von Aufmerksamkeit, Gegenseitigkeit ein Geschenk ist, egal, was der andere mit meinem Geschenk tut). Das hat zu tun mit dem Verzicht auf Kontrolle - Und da berühre ich vielleicht das, was Du Nähe nennst. (Das hat viel zu tun Iris Johanssons Autonomiebegriff und ich gebrauche hier auch ihre Begrifflichkeit.)

Dann kann zur Sprache kommen, was vorher nicht da war. (Dann bin Ich, der Andere, die Sprache und Etwas anwesend.)

Wenn zwischen uns zur Sprache kommt, was vorher nicht da war, dann ist das überraschend. Kein Eintreten dessen, was zuvor vielleicht gefürchtet oder auch erhofft (jedenfalls vorgestellt) wurde. Es ist verbunden mit dem Erleben eines: "Aha, so hab ich das noch nicht gesehen" und "jetzt ist etwas anders als vorher" und mit der Art Freude, die eine Geburt oder eine Schöpfung begleitet.

(Aus ein, zwei Gedanken hat sich ein längerer Text entwickelt.)
Mit Grüssen nach Köln, Nicole

Anonym hat gesagt…

Liebe Nicole, dein Text über das zur Sprache kommen und zur Sprache bringen ist für mich gedankenbewegend gut. Ich denke auch noch immer darüber nach.
Lieber Jelle, so wie du die Nähe beschreibst gibt es Aussagen die auch für die Liebe zutreffen. Die ist auch nicht immer auf Wunsch oder gar Befehl verfügbar. Grüsse Andrea

Anonym hat gesagt…

mtv awards

Guten Abend

Wir stimmen wieder absolut nicht überein mit der diesjährigen mtv awards 2010 Entscheidung.

Bitte schaut vorbei auf unsere kleine Umfrage

http://micropoll.com/t/KEcJnZBNrh


Lady Gaga kann doch wirklich nicht besser sein als Sting

Diese Umfrage wird unterstützt von MTVawards 2010 sponsor femmestyle
[url=http://www.femmestyle.de]brustvergrößerung plastische Chirurgie[/url]


Die nächste Verleihung 2011 muss wieder unbedingt um einiges gerechter werden.

Anonym hat gesagt…

Guten Tag,

Was fuer eine WM! Koennt ihr euch vorstellen, dass die Schweiz Weltmeister wird?

Bitte versucht unsere tolle Umfrage.

http://micropoll.com/t/KENMDZBJU1

Mit freundlicher Unterstuetzung von finanzoptimieren.
[url=http://www.finanzoptimieren.com]lebensversicherung rente[/url]

Die Weltmeisterschaft ist auf jedenfall jetzt schon besser als Japan 2002!