02.03.2008

Esteecee heute. Von Musik getragen

Inwieweit hat der erwachsene Mensch etwas mit seiner Jugend zu tun? Und stimmt es, dass jeder Mensch in seiner Erinnerung die Stätten seiner Jugend in eine goldene Aura hüllt? Weil man dort noch immer den Glanz des Lebens vor der Geburt erlebt? Weil man noch an der Wirklichkeit teil hat, voller Vertrauen und sicher? Weil man die Einsamkeit noch nicht kennen gelernt hat und sich der Bruch mit den Dingen um einen herum noch nicht vollzogen hat?

Sind alle Menschen im Besitz eines solch harmonischen Weltbildes, das offensichtlich in der Jugend entsteht und das auf dem Boden der Seele weiterschlummert wie ein Verlangen, mit dem man nichts anzufangen weiß? Ist dies auch denjenigen Menschen vertraut, die in den Slums von Bombay oder Lima aufwachsen? Und auch solchen die zuerst vom Heroin entwöhnt werden müssen, weil ihre Mutter süchtig war? Und denjenigen, die, vom Vater getragen, auf die Flucht gehen mussten, weil Krieg kam?

Kannte Gloria diese Erfahrung? Ja, trotz allem. Denn dies musste sie gemeint haben, als sie damals an jenem warmen Sommernachmittag im Vondelpark auf einmal über ihre Schulferien zu erzählen begann. Dass nach dem letzten Schultag eine einzige große Freiheit vor ihr lag, eine goldene Ära ohne Ende, in der es nach Tannenduft riechen würde und ihr Vater abends auf die Querflöte spielen würde. Und in der sie nicht in dem großen Haus mit all diesen dunklen Zimmern sein würde.

Sie hatte erzählt, dass am letzten Schultag, wenn es endlich vier Uhr geworden war und die Tore der Schule zum letzten Mal geöffnet wurden, ihr der lange Weg nach Hause auf einmal wie ein sonnenüberströmter Weg der Freiheit erschienen war. Sie lief nicht, sondern es kam ihr vor, als ob sie nach Hause schwebte von den Klänge eines Musikstückes getragen, das gerade begonnen hatte.

Bei Gloria ging es letztendlich immer um Musik. Ihr tiefstes Weltbild bestand aus Klängen un nicht aus Bilder, wie bei mir. Ich sehe die Dinge immer vor meinem geistigen Auge wie ein Film oder ein Gemälde. Erst wenn ich etwas vor mir sehen kann, bekomme ich eine Verbindung damit. Gloria aber schien manchmal gar nichts zu sehen, als ob sie keine Augen hätte. Man brauchte sie nicht zu fragen, welche Kleider jemand am Tag hervor getragen hatte, denn sie würde es nicht wissen.

Ich bezweifle, ob sie irgendwann gesehen hat, dass meine Augen braun sind.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

>>Inwieweit hat der erwachsene Mensch etwas mit seiner Jugend zu tun? Und stimmt es, dass jeder Mensch in seiner Erinnerung die Stätten seiner Jugend in eine goldene Aura hüllt? Weil man dort noch immer den Glanz des Lebens vor der Geburt erlebt? Weil man noch an der Wirklichkeit teil hat, voller Vertrauen und sicher? Weil man die Einsamkeit noch nicht kennen gelernt hat und sich der Bruch mit den Dingen um einen herum noch nicht vollzogen hat?<<

Ich weiß nicht, wie es "normalerweise" ist. Bei mir ist es so, dass ich meine Kindheit überwiegend von Fotos kenne. Gestern haben meine Eltern ihre goldene Hochzeit gefeiert. Mein Bruder hat dort mit Hilfe des Computers einige Bilder aus dem Leben meiner Eltern gezeigt. Dazu gehören wir als Kinder eben auch. So, wie ich die Fotos jetzt sehe, muss ich wohl eine gute Kindheit gehabt haben. Aber mir fehlt das eigene Erleben zu diesen Fotos. Und ich frage mich, bin ich das wirklich? Warum gibt es keine Erinnerung, kein Gefühl für diese Zeit? Ich würde gerne meine Kindheit in eine goldene Aura hüllen. Aber es gibt dazu keine Wahrheit, kein Vertrauen - nur Fotos und Einsamkeit.
B.

Anonym hat gesagt…

Bei mir ist es irgendwie wieder anders mit dem Erinnern an die frühe Kindheit habe ich eigentlich nur aus meiner Mutters Erzählungen und auch vom Fotos anschauen. Aus der ersten Klasse da gibt es wenig Fotos, aber da weis ich viel was ich mit meiner besten Freundin alles gemacht und gedacht habe. Ich weis das als erinnerte Worte mit damit verbunden Empfindungen, ob ich verärgert,beleidigt oder fröhlich war. Irgendwie sind auch blasse Bilder hinein verwoben. Aber ich meine dann immer Bilder sehen muss was mit Hellsichtigkeit zu tun haben und das bin ich nicht. Blöd irgendwie, ich weis nicht wieso das so ist bei mir. Aber goldene Aura legt sich nur über die Zeit als mein Vater noch lebte. Ich war viereinhalb als er gestorben ist.