Neun Monate. Husch, Husch, Husch!!!
Unsere Tochter gibt Töne von sich, die
Bandbreite ihres kleinen Mundwerkes ist menschlich breit, wie sagte
Nietzsche auch wieder? – ach ja: allzu menschlich weit, ich meine:
sie kann fordernd schreien: ihr Anliegen mit ihrer Stimme so richtig
unmissverständlich auf einen Punkt bringen; oder traurig-süß-sauer
weinen: sich in den Weltschmerz hinein tönen; oder empört
klagen: weil ich nicht mit ihr spielen will, ich gerade schreibe;
oder vor reiner Freude einen Zitterstoß loslassen, einen
gesteigerten energetischen Seufzer: wenn ich sie auf dem Arm trage
und die Tür zum Garten öffne, dann weiß sie: jetzt gehen wir raus,
Husch, Husch, Husch!!! Heute früh in der Küche, sie saß im
Kinderstuhl, tönte sie einfach so vor sich hin, ich hörte zu, und
überlegte: was sollen denn diese Töne bedeuten? Die Laute
plätscherten ungezwungen hin und her, waren von gar nichts
gesteuert, verweilten einfach, meine Frau sagte: sie waren ohne
Absicht; sie schienen irgendwie impressionistisch etwas ausmalen zu
wollen, ohne etwas mitteilen zu müssen, sie umfassten nichts, sie
umfassten alles, allzu menschlich waren sie nicht, eher – ja,
welche Worte soll ich wählen? – engelhaft, oder
Willem-de-Kooning-haft, oder Chet-Baker-haft, nein, viele Worte
fallen mir nicht ein. Sicher ist jedoch, dass weitaus die meisten
Erwachsenen die Möglichkeit, sich ohne Absicht frei zu äußern,
längst verloren haben. Ist es nicht gerade DAS, was wir verlieren,
wenn wir „groß“ werden? Nur ein paar ganz große Künstler
schaffen es, sich diese Freiheit zu bewahren oder zurück zu
erlangen... Aber jetzt quengelt meine Tochter wieder, ich vermute
mal, sie möchte auf den Arm genommen werden, um in den Garten
gebracht zu werden, also: Husch, Husch, Husch!!!