Herbst, Samstagmorgen, der Wind spricht
leise in den Bäumen. Nebenan öffnet eine Nachbarin ein Fenster, das
Geräusch ist mir wohl vertraut, es ist jeden Morgen da, heute klingt
es allerdings bescheiden und still. Die Wäsche steht zum Trocknen
auf dem Innenhof, regungslos, gelassen, fast steif gefroren. Und ja,
die Mülltonnen, sie schweigen dazu.
Und sogar die Züge – sie fahren im
Minutentakt an meinem Garten vorbei – scheinen heute inne halten zu
wollen. Komplett still zu bleiben schaffen sie nicht, es sind halt
Züge, irgendetwas in der Luft dämmt jedoch die mechanischen Klänge,
umarmt das, was übergriffig sein könnte, leitet es um, in eine
Tiefe, in ein unterirdisches Ohr.
Etwas Mächtiges hört heute früh zu.
Nun ist es mit dem Hören so, dass immer eine Hoheit dahinter steckt,
„etwas“ hört zu, hören ohne eine Wesenheit gibt es nicht, Ohren
haben immer einen bestimmten Träger. Mir ist klar, dass die Hoheit,
die gerade zuhört, groß sein muss, vielleicht heißt sie Köln,
vielleicht Rheinland, vielleicht hat sie einen Namen, den ich nicht
kenne. Ich spüre jedoch, dass sie da ist, und auch die Vögel merken
ihre Präsenz, sie sitzen auf den Ästen und Dachrinnen und warten
ab.
Kleine Ohren können in großen Ohren
aufgehen, mit den Elstern und Raben und Amseln höre ich also zu,
versuche mit meinen Ohren das große Ohr zu finden, das gerade so
mächtig zuhört. Mein Hören fügt sich in „etwas“ ein, in ein
Hören, das sich zwar von mir nicht direkt identifizieren lässt,
jedoch alles andere als anonym ist. Ich merke allerdings, dass die
Hoheit sich nicht versehentlich verbirgt, ganz im Gegenteil, sie
möchte bei ihrem wahren Namen genannt werden.
Und dann geschieht etwas
Unwahrscheinliches. Neben mir, keine zwei Meter von mir entfernt,
landet ganz still, sanft und leise, fast geräuschlos, eine Taube.
Und sie schaut mich an. Sie ist groß und offenbar alt, sie wirkt
erschöpft, als könne sie auf der Stelle sterben... Ihr oranger
Schnabel leuchtet im Morgenlicht hell auf, wie ein Schmuckstück aus
einer alten arabischen Geschichte. Sie wackelt auf ihren Füßen,
schaut mich nochmals an und fängt dann holprig an, etwas Essbares im
Gras zu suchen.
Und sie sagt mir: Der Name der
bedachtsam zuhörenden Hoheit heißt Frieden. Und auf einmal ist mir
klar, welche dringend-stille Frage mich aus der leisen Sprache des
Windes in den Bäumen, aus der hängenden Wäsche auf dem Hof, aus
den gedämmten mechanischen Geräuschen der Züge versucht zu
erreichen. Die Frage lautet: Gibt es in Dir Platz für mich, für die
Hoheit namens Frieden?
Ich schreibe in Frieden.
Und als mein Schreiben friedvoll
vollendet ist, fängt der Wind an lauter zu sprechen, die Raben
nehmen ihren üblichen Diskurs wieder auf, und ja: Hunderte von
Gänsen ziehen laut kreischend hoch über mir her. Und die alte Taube
ist auf einmal verschwunden. Der Friede ist mächtig, man braucht ihm
nur zu lauschen und ihn in sich aufzunehmen.
Lieber Jelle, das ist schön. Ich kenne diese Stille von der Du schreibst - ja, ich habe sie aber noch nicht so bewusst als Frieden bezeichnet. Eher als etwas Komisches & Langweiliges & Schlafendes & Leeres & traurig Machendes. Aber vermutlich liegt es nicht an der Stille, dass ich das so empfinde, sondern eher an den plötzlich fehlenden Geräuschen. Ich danke Dir für diesen Impuls und freue mich auf eine beginnende Freundschaft mit meinem Frieden.
AntwortenLöschenHerzliche Grüße, Birgitt
Lieber Jelle, danke!
AntwortenLöschenGestern Vormittag saß ich am Schreibtisch, um einen Bericht über ein Kind für das Jugendamt zu schreiben. Ich mag das: Dieses Sinnen über ein Kind und das Bemühen, so zu schreiben, dass das Kind einverstanden ist. Beim Nachsinnen wanderten meine Blicke zum großen Ahornbaum, dessen Blätter nun nach und nach auf das Schuppendach rieseln. Auf einmal kamen ganz viele Tauben angeflogen und spazierten in einer langen Reihe gemächlich über das Schuppendach. Ich dachte noch: so viele Tauben!....
Aber doch! Es gibt so viel Not in der Welt!
Friedensgebet:
Sonnenwesen, Christusheld, Schicke Deine Kraft
Zu uns auf die Erde,
Um zum Guten zu wenden
Die Kräfte des Bösen
In der Zeit der Not.
Lasse werden, o Herr,
Die Geschehnisse dieser Welt
Zukunftsfördernde Taten.
Wende die Lanze des Bösen
von ihrem Ziel.
Gib der Welt Frieden.
Die wahre Sprache Gottes ist die Stille - alles Andere ist eine schlechte Übersetzung.
AntwortenLöschenAlbert Einstein ?