In seinem bemerkenswerten Esotericism
and the Academy. Rejected Knowledge in Western Culture, 2012 in
Cambridge erschienen, beschreibt Wouter J. Hanegraaff die Geschichte
des esoterischen Denkens in der westlichen Kulturwelt. Professor
Hanegraaf geht diskursiv-konstruktivistisch vor und dass heißt, er
bewertet die inhaltlichen Ergebnisse des esoterischen Denken als
solche nicht, sondern dokumentiert an Hand zahlreicher Quellen, wie
das westliche esoterische Denken in der Renaissance entstanden ist,
sich während der Zeit der Aufklärung weiter entwickelte und das
zwanzigste Jahrhundert erreichte.
Bemerkenswert an seinen Untersuchungen
ist, dass er das esoterische Denken nicht als irgendeine komische
Nische in der Geschichte des modernen Denkens behandelt, sondern als
ein Hauptakteur ansieht. Hanegraaff stellt überzeugend da, dass etwa
die philosophische Aufklärung ohne das esoterische Denken nie in
Erscheinung getreten wäre. Esoterisches Denken und aufgeklärtes
Denken zeigen sich wie Brüder, wie Kain und Abel.
Im fünfzehnten Jahrhundert sind es vor
allem die platonischen Humanisten wie Marsilio Ficino und Pico della
Mirandola, die sich in Florenz darum bemühen, eine Art Brücke zu
schlagen zwischen den alten Weisheiten aus dem Orient und dem
Christentum. In den alten vorchristlichen Mysterien sehen sie eine
Vorbereitung der christlichen Offenbarungen. Für Ficino zum Beispiel
war Orpheus ungefähr identisch mit Christus, für Pico war die
jüdische Kabbala eine verborgene Lehre, die direkt auf Moses
zurückging. Im Denken der Früh-Renaissance spielte auch der Perser
Zarathustra eine große Rolle, er wurde als der Urheber des
„magischen“ Weltbildes angesehen, was im Kern hieß, dass die
Natur als eine von geistigen Wesenheiten erfüllte Wirklichkeit
verstanden wurde.
Der geistige Humanismus von Ficino und
Pico wurde von Anfang an von Seiten der christlichen Aristoteliker
(sie waren auf Thomas von Aquin orientiert) kräftig attackiert.
Hanegraaff spricht diesbezüglich von einem „Schatten“ des
Humanismus: Je stärker die Platoniker die alten Weisheiten ins Licht
ihrer Aufmerksamkeit rückten, je vehementer wiesen die Aristoteliker
sie als heidnisch und häretisch zurück.
Und als sich dann etwa ein Jahrhundert
später die Bühne verwandelte – was sich bisher als „theologische“
Debatte innerhalb der Katholischen Kirche vollzogen hatte, wurde eine
„wissenschaftliche“ und somit „akademische“
Auseinandersetzung – kamen neue Werte ins Spiel. Was bis dahin noch
„häretisch“ genannt wurde, wurde ab jetzt einfach „dumm“
genannt. Aus den sehr differenzierten Vorstellungen von Magie,
Alchemie und Okkultismus wurden Karikaturen gemacht, die sich leicht
anfechten ließen. Anders gesagt: die Inhalte und Arten des
esoterischen Denkens wurden nicht mehr wahrgenommen, sondern als
Aberglaube vom Tisch gewischt.
Dass allerdings Chemie nicht ohne
Alchemie und Astronomie nicht ohne Astrologie denkbar ist, wurde aus
dem europäischen Gedächtnis gestrichen. Hanegraaff betont die enge
Beziehung zwischen dem esoterischen und dem naturwissenschaftlichen
Denken, zeigt vor allem auch wie paradox die Verbindung ist. Der
Vergleich zwischen Abel und Kain (kommt von mir, nicht von
Hanegraaff) sagt etwas Wesentliches über die Beziehung aus. Was
augenscheinlich wie zwei getrennte Welten aussieht, beruht im Grund
genommen auf einem gemeinsamen Werdegang.
Über die Rosenkreuzer und die
Freimaurerei (die „Erzählung“ von geheimen okkulten
Organisationen) kommt Hanegraaff im neunzehnten Jahrhundert zu
Figuren wie Eliphas Lévi und Arthur Edward Waite, autodidaktische
und esoterische Forscher, die von der akademischen Welt vollkommen
negiert wurden. Hanegraaff weist fein darauf hin, dass alles was
irgendwie mit Magie zu tun hatte, von der akademischen Welt mit
„magischer“ Macht ins Belanglose und Lächerliche befördert
wurde.
Ich werde in den nächsten Wochen
weiter über Hanegraaff schreiben. Für heute noch das Folgende. Aus
den Ausführungen von Hanegraaff geht klar hervor, dass der Diskurs
zwischen Esoterik und Aufklärung nicht vorbei ist, ganz im
Gegenteil, wer den Werdegang der Moderne ernst nimmt, nicht nur
historisch, sondern auch in Bezug auf die europäischen Werte (wie
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit), die er erzeugt hat, kommt
nicht drum hin, sich die Frage zu stellen: Welche (ironisch genug:
verborgenen) Bausteine hat das esoterische Denken der heutigen Kultur
geliefert?
Der Ansatz von Hanegraaff kann dazu
beitragen, dass der offenkundig verdorbene Begriff des Esoterischen
und Okkulten aus einem muffigen Keller hoch geholt, ans Tageslicht
befördert und gereinigt wird. Man wird dann sehen können, dass das
esoterische Denken nicht einfach „dumm“ ist, sondern eine
feinsinnige Betrachtungsweise des Lebens darstellt, ohne welche es so
etwas wie Freiheit nicht gäbe.