Es ist Donnerstag, früh, Himmelfahrt.
Ich sitze auf der Terrasse unserer Wohnung in Köln, die Sonne
scheint, die Pfingstrosen im Garten neigen sich dunkelrot und voll
zur Erde, die Vögel „twittern“, die vorbeifahrenden Züge
geleiten meine Gedanken nach Bonn, Gerolstein und Frankfurt... Die
Welt ist heute weit und offen, jedoch auch klein und vertraut.
In der Welt bin ich bei mir. Was mich
heute vor allem bewegt, sind zwei Gegebenheiten. Erstens ist da die
überwältigende Tatsache, dass ich vor einer Woche Vater geworden
bin. Unsere Tochter Ilana ist noch winzig klein, sie bestimmt jedoch
rund um die Uhr das kleine-große Leben zwischen den Pfingstrosen,
den Vögeln und den Zügen. Es scheint mir so zu sein, als ob sie
bereits eine Ewigkeit bei uns ist. Gab es eigentlich eine Zeit, in
der sie noch nicht da war?
Und dann ist da zweitens die Tatsache,
dass nächsten Samstag das Kinderhaus in Aachen so richtig feiern
wird. Ich kann leider nicht dabei sein, weil ich meine
Lebensgefährtin Vanda nicht mit unserer Tochter und den vielen
Besuchern (Samstag kommt eine Truppe aus Holland) alleine lassen
will, weil ich die Begrüßungen nicht verpassen möchte. Eigentlich
würde man am Himmelfahrtstag meinen, man könnte überall
gleichzeitig sein, leider erlaubt mir mein Körper dies jedoch nicht.
Dass am Samstag im Kinderhaus in der
Mühle in Aachen so richtig gefeiert wird, hat gute Gründe. Wir
haben über Jahre und Jahre – ja, gab es eigentlich eine Zeit ohne
diese Bemühungen? – an einer Verwandlung gearbeitet, die äußerlich
gesprochen vielleicht eher trivial aussieht, innerlich jedoch eine
teure und stolze Leistung bedeutet. Es gab einmal eine Zeit, in der
das Kinderhaus – mit etwa zwölf Kindern und Jugendlichen – von
zwei Personen, Ruthild und Martin Soltau, die sich mit ihren eigenen
vier Kindern für die Zukunft aller Beteiligten verantwortlich
gemacht haben, getragen wurde. Die beiden waren über eine lange Zeit
die zwei tragenden Säulen der Gemeinschaft.
Und am Samstag wird der Umstand
gefeiert, dass diese Verantwortung nun von einem Team übernommen
worden ist. Das soziale Gebäude des Kinderhauses wird jetzt von
einem Kreis von Säulen getragen, einer Art Stonehenge, das in einer
vielschichtigen menschlichen Zusammenstellung nun ihre Orientierung
und Richtung finden will. Diese Verwandlung ist möglich, weil sie
nicht nur gewollt, sondern auch bewusst Schritt für Schritt
vollzogen wurde. Alle Beteiligten haben an diesem Vorgang
mitgearbeitet - und vor allem auch an sich selber gearbeitet.
Die innerliche Verantwortung für
Kinder und Jugendliche zu ergreifen, ist ein großes Ding. Als
Begleiter dieses Prozesses habe ich über die Jahre hautnah erleben
dürfen, wie sehr die Schicksale der Einzelnen – der Kinder und
Erwachsenen – miteinander verflochten sind, wie sehr die
Beziehungen immer wieder große und wesentliche Fragen über das
Leben erwecken, über „mein“ Leben, über die dringenden Themen
in der Gesellschaft. (Wer die Postmoderne in all seinen Aspekten
kennen lernen will, möge sich sofort als Mitarbeiter in einem
Kinderhaus bewerben...)
Ich möchte vor allen Martin und
Ruthild, Ralf, Andrea und Willy an dieser Stelle meine Achtung
zollen, nicht weil sie kompetent und fleißig sind (sind sie
jedoch!), nicht weil sie zuverlässig und treu sind (sind sie auch!),
sondern weil sie sich uneingeschränkt auf das Wesen der Verwandlung
eingelassen haben. Sie haben sich selber immer wieder in Frage
gestellt, haben ihre eigene Haltung kritisch angeschaut, sich von
Freude und Schmerzen klug und mutig leiten lassen.
Offiziell hat Ralf Gundlach die Leitung
des Kinderhauses in seine Hände genommen, und wird dabei von Andrea,
Ruthild und Martin, sowie dem ganzen Team unterstützt. Ralf ist ein
Mensch der Weite, der Nähe, des Vertrauens, des Dialogischen. Er
hört auf die Bedürfnisse der Kinder und der Mitarbeiter, versucht
Fähigkeiten zu erwecken, hält inne wenn nötig... Und vor allem:
Wenn er in die Küche tritt und „Hallo“ sagt, ist er präsent.
Die verborgene Regie der Verwandlung –
haben wir sie bemerkt? Ja, wir haben sie wahrgenommen! – lag in
Wahrheit bei den Kindern und Jugendlichen. Wir wissen, dass für sie
das Kinderhaus eine notwendige Alternative ist – wie gerne würden
sie ganz „normal“ in einer Familie aufwachsen, mit Müttern und
Vätern die im Stande sind, sie zu betreuen, zu versorgen, zu
begleiten! Wir wissen allerdings auch, dass sie ihr Schicksal
akzeptieren, annehmen, ja uneingeschränkt leben... Liegt nicht die
Größe der Kinder gerade darin, dass sie das Leben nehmen wie es
ist, jeden Tag wieder?
Heute ist Himmelfahrt, bald wird es
Pfingsten werden. Aus den ehrlichen Bemühungen der abgesonderten
Einzelnen entsteht durch das Pfingstfest eine Weite und Nähe der
Gemeinschaft, das freudige und vielleicht auch ein bisschen wirre
Teilen miteinander, wonach wir uns alle sehnen. Am Samstag feiern die
Kinder und Erwachsenen des Kinderhauses „Gemeinschaft“, ich werde
leider nicht dabei sein. Aber bereits heute spüre ich, wie sehr ich
mich von der Wahrhaftigkeit des Bemühens getragen fühle.
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
AntwortenLöschenVielen Dank, Dir, lieber Jelle!
AntwortenLöschenRalf sagte gestern, dass wir ohne Dich den Umstrukturierungsprozess nicht geschafft hätten! Das ist auch meine Einschätzung. Danke für Deine Supervision! Danke für die Arbeit einer gemeinsamen Fortbildung oder besser Forschung, die wir begonnen haben!
Herzliche Grüße an die ganze Familie, auch die aus Holland
Ruthild
Lieber Jelle:
AntwortenLöschenGroß, ausdauernd, respektvoll, liebenswürdig, ehrlich, mitfühlend,
aufbauend- nur ein paar Adjektive mit
denen man deine tolle Arbeit als Supervisor in all der Zeit in der wir
dich alle brauchten beschreiben kann.
Danke für alles, herzlichst
Andrea