27.01.2013

Universitätsstraße. "OOOAAA!!!"

Seine blonden Haare sind lang und wild, die Haut seines Gesichtes ist roh, als wäre er ein Rocker, was er allerdings bestimmt nicht ist, denn dafür ist er einfach too busy, den ganzen Tag, er findet immer etwas zu tun, für seine Hände. Er bringt Gegenstände von A nach B, von B nach C, deswegen ist er wahrscheinlich jeden Samstagvormittag auf dem Flohmarkt an der Uni zu finden, dort gibt es genug Dinge, die von A nach B, von B nach C transportiert werden müssen, alte Kaffeemühlen, Hocker, Stühle, Malereien, ich weiß nicht was alles, natürlich auch Bücher, Töpfe und Klamotten... Nein, ein Händler ist er nicht, ich glaube nicht, dass er sich auf das Kaufen und Verkaufen einlässt, irgendwie scheint es mir so zu sein, dass er zu dem Kerngeschehen auf dem Markt keine Beziehung hat, er ist einfach da, hilft den Leuten, geht zwischen den Marktständen herum, sieht was zu tun ist, und tut es... Und etwa alle neunzig Sekunden kommt etwas aus seinem Mund, ein wilder und stoßender Klang, ein dringendes Wort ohne Bedeutung, kurz aber laut, als ob er etwas von sich geben muss, dass ihn irgendwie beherrscht, irgendwie bestimmt, irgendwie bewegt... Ich wüsste nicht, wie der Klang hier wiederzugeben wäre, vielleicht kommt etwas wie „OOOAAA“ dem Ausstoß nahe, jedenfalls ohne Konsonanten und mit mindestens drei Ausrufezeichen!!!. Und jedes Mal fliegt dann ein Vogel befreit nach oben, schwarz wie ein Rabe, umkreist das Hochhaus und verschwindet in den Himmel, dorthin, wo die Wörter sowieso keine Bedeutung mehr haben.

16.01.2013

Rathenauplatz. "Weil mein Körper Bewegung braucht..."


Mit einem Regenschirm, einem Rucksack (an der Seite eine Flasche Wasser) und manchmal einem Apfel in der Hand geht er mit großen und langsamen Schritten durch den Park am Kölner Rathenauplatz, immer die gleiche Strecke, hundert Meter hin, hundert Meter zurück, jeden Tag, stundenlang, egal wie sich das Wetter gebärdet... Er dürfte etwa sechzig Jahre alt sein, sieht aus wie ein Iraner, distinguiert und fein, bestimmt ist er kein grober Handwerker, alles an ihm wirkt zart. Sein Blick geht nach innen, er schaut auf nichts um ihn herum, auch nicht auf mich, scheint in einer Wirklichkeit zu verweilen, die mit dem Park nichts zu tun hat. Etwas Großes, Tiefes und vielleicht Schweres entschleunigt seinen Gang. Als ich ihn vielleicht dreißig Mal im Park gesehen habe, halte ich es nicht mehr aus, ich will von seinem Geheimnis erfahren. Ich gehe auf ihn zu, frage warum er jeden Tag hundert Meter hin und hundert Meter zurück geht, er blickt mich an, lacht freundlich und sagt: „Weil mein Körper Bewegung braucht...“ Und das war es, mir ist klar: Ich soll nicht weiter fragen. Als ich ihn am nächsten Tag wieder sehe, wendet er seinen Blick ab, er will nicht angesprochen werden.

08.01.2013

Dasselstrasse. "Die Menschen haben keine Ahnung!"


Er wohnt bei mir in der Straße, ein paar Häuser weiter. Er droht vor Wut zu platzen, den ganzen Tag, jeden Tag. Sprechen kann er kaum, eine Krankheit hat ihm seine Stimme genommen. Wenn er anfängt zu sprechen, kommen dunkle Geräusche aus seinem Mund, fast scheint es, als ob sie eher aus seiner Brust kommen. Er hat einen Rollladen vor seinem Fenster, seine Wohnung wirkt blind. Wenn er draußen vor der Tür den Bürgersteig kehrt, was er jeden Tag mindestens einmal macht, schaut er wütend um sich. Die Fußgänger spüren, dass sie ihn besser nicht ansprechen sollten. Er würde platzen, vor Wut. Irgendwann, so sieht man, ist dem Mann etwas zugestoßen, irgendeine gravierende Ungerechtigkeit ist ihm widerfahren. Ich bin öfters an ihm vorbei gegangen, habe mich gewundert, ja geschämt, fühlte Mitleid und Unbeholfenheit. Und vorgestern habe ich ihn dann angesprochen, es war Sonntag, er hatte mal wieder gekehrt... „Guten Tag“, sagte ich, „ich wohne nebenan“. Er schaute mich an, wütend, und dreimal sagte er, es klang wie eine Tonne, die die Kellertreppe herunter stürzt: „Die Menschen haben keine Ahnung!“